Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Wie begossene Pudel

Puente la Reina nach Irache, 19 km

Gerade, bevor die ersten Regentropfen fallen, steht dank vereinter Kräfte unser Zelt. Ich entlasse Papa und Veronika in ihren Bungalow und bin von jetzt an auf mich allein gestellt.

Endlich Abenteuer! So lange es noch hell ist, versuche ich abends, mir mein Mobilheim herzurichten und gemütlich zu machen. Sira ist mitsamt Schleppleine angepflockt, damit sie mir aus den Füßen bleibt. Sie genießt das! Ich darf sogar immer mal wieder in die Herberge, um zum Klo zu gehen, mein Handy zu laden etc. Als die Unterlage und Isomatte platziert sind, hole ich Sira dazu. Noch ist sie nicht sooooo nass und das Gemüffel hält sich in Grenzen. Über meinen kompletten eilig ausgekippten Rucksackinhalt in der Apsis klettert sie ins Zelt. Der Knisterboden und die Enge sind ihr nicht geheuer und - flutsch! ist sie wieder draußen. Beim zweiten Anlauf klappts. Sie legt sich neben meine Matratze, immer mit dem "Hoffentlich weißt du, was du tust!"-Blick. Bald schläft sie und ich kann sogar meine Sachen aus der Apsis über sie drüber in die hintere Zeltecke befördern. Es ist erstaunlicherweise gar nicht mal so kalt.

So, fertig! Gemütlich ist es geworden. Sira liegt auf ihrem Deckchen und ist zufrieden. Wo hier aber bei Bedarf auch noch Papa schlafen soll, ist mir ein Rätsel. Sira ohne Leine in der Apsis ist keine Option. Sie kommt überall unter der Plane durch, wenn sie will. Vielleicht kann sie ja bei schönem Wetter und Wildcampen mit der Schleppleine ganz außerhalb des Zeltes bleiben. Aber das schauen wir, wenn es soweit ist.

Nachts hülle ich mich mit Fleeceschlafsack und all meinen Klamotten in meinen Daunenschlafsack und schlafe, genau wie Sira, fast gut. Kein Problem mit Kälte, mit dem Regen, der aufs Dach pladdert oder mit der ungewohnten Luftmatratze. Der einzige Störfaktor ist, dass ich mich in dem Schlafsack gefangen fühle. Daran gewöhne ich mich auch noch!

Früher als sonst, um halb sechs, klingelt der Wecker. Als erstes kuschel ich mit dem Hund, der mir so nahe ist wie schon lange nicht mehr. Dann gehen wir Gassi und Sira kommt an die Schleppleine, damit ich in Ruhe das nasse Zelt einpacken kann. Im Zelt ist zum Glück alles trocken geblieben. Schön! Wasserdicht!

Puh, das ist ganz schön Arbeit, bis man sich da dann mal organisiert hat. Bald kommt Veronika mir mit belegten Broten und Papa mit Rat und Pack-an zur Hilfe.

Später als sonst, erst kurz vor neun, verlassen wir unsere Herberge. Noch schnell haben wir die verpönte Chance genutzt, wenigstens Veronikas Rucksack und das Zelt per Gepäcktransport nach Ayegui bringen zu lassen.

Der Himmel ist bedeckt. Wo morgens noch einige Flecken blauer Himmel zu sehen waren, zieht es sich schon langsam, aber stetig zu.

Beim Anstieg vor Mañeru ist es soweit. Die ersten von vielen, vielen Regentropfen fallen. Sämtliche Pilger, die jetzt vor und hinter uns laufen, bleiben stehen, werfen Ponchos über oder klappen Regenschirme auf, dann gehts weiter.

Im Ort halten wir kurz, am alten aber irgendwie auch neuen Waschhaus. Wie auch in vielen anderen Orten, die wir auf dem Camino Frances passiert haben, haben wir das Gefühl, in einem auf neu getrimmten Dorf zu sein. Hat man die Dörfer auf dem Camino für das Pilgervolk renoviert? Wie sähe es hier aus, wenn nicht jährlich tausende Pilger vorbeischauen würden? Wie sehen die Siedlungen aus, die nicht ein direkter Teil des Camino, sondern zwei Kilometer entfernt sind? Kriegen die auch ein Stück vom Kuchen ab?
Und ist das noch echtes Pilgern, wenn inzwischen alles für's Pilgerauge und Leib und Seele verschönert wird?

Den Rest des Vormittags laufen wir durch hügeliges Auf und Ab durch die letzten Ausläufer der Pyrenäen, immer wieder begleitet von mal stärkeren, mal schwächeren Regenschauern. Wir erreichen Lorca kurz vor dem ersten richtig starken Regenguss inklusive Gewitter. In der Bar einer richtig netten Herberge mit richtig netten Hospitaleros dürfen wir sogar mitsamt Sira unterschlüpfen. Noch bevor wir unsere hausmannsköstlichen Snacks bestellen, bekommt Sira von der Hospitalera, selbst ehemalige Pilgerin, Schinkenscheiben und Streicheleinheiten. Der Hospitalero gesellt sich dazu, Sira bekommt Käse und noch mehr Streicheleinheiten. Ja, wo sind sie denn, die hundehassenden Spanier? Irgendwie scheinen die sich vor uns zu verstecken! Klar, wir kommen nicht in Pilgerherbergen und oft nicht in Cafés oder ähnliches, aber fast jeder Spanier hat für Sira ein Tätscheln, einen freundlichen Blick oder ein Knutschgeräusch übrig. Und ich mach mich vorher noch verrückt!

Die Atmosphäre in der Bar ist allgemein total schön. Aus der Stereoanlage tönt erst so etwas wie Hollywood-Blockbuster-Filmmusik, danach, etwas lauter, melodramatischste Songs von "Il divo", immer lauthals mitgesungen vom Hausherrn und einer älteren amerikanischen Pilgerin, die einfach nur süß ist. Begleitet wird sie von einer anderen, nicht weniger alten, amerikanischen, süßen und melodramatischen Dame. Diese erzählt, sie habe gerade im Gewitter vor Angst geweint. Dann streichelt sie Sira und sagt, sie könne schon wieder weinen. Als wir schweren Herzens nach einer ohnehin viel zu langen Pause aus der Bar in den Regen treten, winkt sie uns mit dutzenden Kusshänden nach. Irgendwie könnten wir alle weinen. Veronika und ich, weil uns da drinnen eine ganz besondere Stimmung gefangen hat. Papa und Sira, weil sie wieder in den Regen müssen.

Als wir eine Weile der Hauptstraße gefolgt sind, erreichen wir Villatuerta. Der Regen hat deutlich nachgelassen. Immerhin!

Als wir bald darauf Estella anlaufen, steht der nächste Wolkenbruch bevor. Eine Frau mit drei kleinen bellenden Fiffis erzählt uns gleich viermal auf Spanisch, dass der Jakobsweg mit einem Hund sehr schwierig zu bestreiten sei und erklärt uns den Weg zu Unterkünften, wo der Hund wenigstens draußen schlafen darf. Wir danken herzlich und suchen als nächstes die Touri-Info auf. Mein Hund schläft nicht alleine draußen! Schon gar nicht bei Gewitter. Aber bei dem Wetter mag ich auch nicht zelten. Ein billiges Hotel muss her! Die Dame an der Information besorgt uns einen Schlafplatz in Irache und gibt uns eine wertvolle Liste mit Unterkünften innerhalb von 40 km, in denen Hunde erlaubt sind. Nützlich, da das Wetter so furchtbar bleiben soll die nächste Woche.

Bis nach Irache sind es noch mindestens drei Kilometer. Veronika fährt auf unser Drängen hin mit dem Bus, da ihr Knöchel ihr immer wieder schwere Probleme bereitet. Meinen Rucksack nimmt sie mit, damit ich mir wiederum ihren in Ayegui abholen kann, wo der Gepäcktransport ihn ja abgeladen hat. Neeneenee, ist das alles kompliziert!

Im immer stärker werdenden Regen stoppen wir kurz bei LIDL und suchen dann in Ayegui verzweifelt nach der Albergue, in der unser Gepäck schmoren soll. Da die Herberge in unserem Unterkunftsverzeichnis einen anderen Namen trägt als auf dem Straßenschild, und wieder einen anderen an der Herbergsaufschrift selbst, suchen wir verdammt lange. Wir laufen den Berg hoch, durch knöcheltiefe Sturzbäche, zu denen der Regen sich inzwischen auf den Straßen entwickelt hat. Hagelkörner von 5 mm Durchmesser knallen auf Siras Fell und sie streikt kurzzeitig, indem sie sich mit aller Kraft unter ein Vordach schmeißt und nicht mehr zu bewegen ist. Wir warten den Hagelschauer ab. Dann ist sie bereit, weiter zu gehen. Wieder mal leide ich fürchterlich mit meinem Hund mit. Aber es hilft nichts. Erbarmungslos ziehe ich ihn hinter mir her durch die Flüsse auf den Straßen, denn nur so landen wir irgendwann im Warmen. Aufhören wird das hier so schnell nicht! Er presst sich an den Hauswänden entlang, um so geschützt wie möglich zu sein. Darauf kann ich mich einlassen.

Den Berg wieder runter laufen wir durch ohrenbetäubenden knallenden Donner und verdammt nahe Blitze. Mich beruhigt der Gedanke ungemein, heute nicht ins Zelt zu müssen!

Nach einem riesigen Umweg erreichen wir die Herberge, an der wir eine halbe Stunde vorher vorbeigelaufen sind. Mich empfängt der deutsche Hospitalero und leidenschaftliche Pilger Peter, der uns gerne als Gäste gehabt und uns, da wir "Zuhausestarter" sind, die Unterkunft sogar spendiert hätte. Er gibt uns wertvolle Tipps für den nächsten Tag und verabschiedet uns. Hmmm, so richtig wollen wir alle nicht weiter. Aber Veronika und mein Rucksack sind in Irache. Veronikas Rucksack ist hier. Sira müsste draußen in der Hundehütte bleiben. Und wir im überfüllten Schlafsaal. Und auf uns alle warten in Irache Veronika und ein schönes, warmes und privates Zimmer. Also weiter.

Der Regen ist weniger geworden, das Gewitter ist vorbei. Nach zwei Kilometern an der Hauptstraße sehen wir auf dem Hügel endlich unser Hotel. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Der Schuppen sieht von außen aus wie ein billiges, schmuddeliges, klebriges Stundenhotel. Na super! Da schwindet meine Hoffnung von warm, weich und gemütlich! Auch egal, Hauptsache trocken! Als wir das Foyer betreten, sind wir mehr als überrascht. Nix schmuddelig, nix billig, alles neu, funkelnd und sauber. Die nette Empfangsdame schickt uns zu unserem Zimmer, wo Veronika schon halb krank vor Sorge auf uns wartet.

Als erste Amtshandlung wird Siras Decke vorm brodelnden elektrischen Heizkörper ausgebreitet. Die Leine ist kaum ab, da rollt sie sich grunzend zusammen und schläft ein.

Geschafft, meine Süße, geschafft!

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Montag, 20 Mai 2013 12:06)

    O wie schade, dass die Zeltromantik, das Abenteuer, das du nach der ersten Nacht beschreibst, im wahrsten Sinne des Wortes erstmal "den Bach runter" gegangen ist. Hoffentlich sprengt die Alternative mit den kleinen Hotels nicht euer Pilgerbudget.
    Arme Sira, beworfen zu werden mit so dicken Hagelkörnern, da würde ich auch streiken. Dabei hat sie doch gar nichts ausgefressen! Sie ist auch eine wahre Pilgerin. Schade, dass ihr in den "Pilgerstätten und -herbergen" manchmal der Zutritt verwehrt wird. Das hat sie echt nicht verdient.
    Ihr alle Drei schlagt euch weiterhin tapfer durch. Jetzt ist es ja nicht mehr weit.
    LG und Küssi für Sira

  • #2

    Dani (Dienstag, 21 Mai 2013 07:28)

    An solche Tage werdet ihr lange zurück denken!