Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Bei Fritz!

Von Condom nach Lamothe, 27 km

Wir sollten bei unserer täglich sich wiederholenden Nudelsuppe bleiben. Dann komme ich auch dazu, einen Blogartikel zu schreiben. Wehe, wir wählen Halbpension. Dann sind wir sehr früh sehr schnell durch den anstrengenden Verdauungsprozess müde und geringfügig angetrunken, so dass ein Blogartikel nur sehr schwer oder gar nicht mehr möglich ist. So war es vorgestern und gestern. Mal sehen, ob ich noch was zustande bringe.

Im großen Schlafsaal unserer Unterkunft in Condom haben die beiden etwas verschrobenen Amerikanerinnen zunächstmal Sorge, ob Darling Sira auch wirklich gut geschlafen und schon genug zu essen bekommen hat. Als Anni dies guten Gewissens bestätigt, sind sie zufrieden. Während für die große Pilgergruppe an den Nachbartischen der Chef der Gite ein umfangreiches Frühstück anliefert, steht bei uns wieder Porridge auf dem Speiseplan, diesmal verfeinert mit kleingeschnippelten Erdbeeren. Nanni und Johan sind inzwischen vom benachbarten Campingplatz gekommen und frühstücken mit uns.

Zusammen mit den Amerikanerinnen verlassen wir die Gite, helfen den beiden noch, den richtigen Weg zu finden und sehen sie dann leider nicht mehr wieder. Unser erster Halt ist der kleine Ort Larressingle, ein wunderschönes Beispiel für die befestigten Dörfer der Region. Rund 270 Meter völlig intaktes Mauerwerk, sowie ein Burggraben umschließen die wenigen Häuser, die Burg und die Burgkirche. Noch immer verleihen die alten Häuser, die gleichzeitig die Festungsmauer bilden, dem Dorf ein mittelalterliches Flair.

Auf dem Weg von Larressingle wieder hinunter ins Tal der Osse keucht uns eine uns mittlerweile gut bekannte französische Pilgergruppe den Berg hinauf entgegen. Während wir den Abzweig vom Jakobsweg nach Larressingle früh genug genommen haben, sind sie zu spät abgebogen. Ein Pilger aus der Gruppe gesteht verlegen lächelnd "Mistake!" und keucht weiter.

Eine halbe Stunde später überqueren wir auf der Pont d'Artigue die Osse. Schon ein besonderes Gefühl, im Wanderführer zu lesen, dass über genau diese schmale Brücke mit ihren fünf uneinheitlichen Bögen seit dem Mittelalter Pilger zogen. Heute sind es eben wir.

Montreal ist die nächste typisch gascognische Bastide, die wir bald darauf durchqueren. Von ihrer ehemaligen Stadtbefestigung sind nur noch Reste erhalten, denn während der französischen Religionskriege geriet der Ort zwischen die Fronten und wurde erheblich zerstört. Auf dem zentralen Marktplatz mit seinen schönen Arkaden essen wir unser gerade erst gekauftes Baguette. Frisch und noch knusprig schmecken sie am besten. Eigentlich schmecken sie nur dann.

Vor unserem Etappenziel gibt es nochmal einen ordentlichen Regenschauer aufs Pilgerhaupt und wir kommen recht nass in der Herberge von Fritz Kleinert an. Fritz, ein Deutscher aus Baden-Württemberg, öffnet uns lachend die Tür und bittet uns hinein. Zwei weitere Deutsche sitzen bereits im Aufenthaltsraum. Wie sich bald herausstellen soll, ist der eine ebenfalls Pilger, der andere ein Freund und die rechte Hand von Fritz. Letzterer, Hans, outet sich selbst als "auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar", der aber auf Antrag eine Praktikantenstelle bei Fritz vom Arbeitsamt genehmigt bekommen hat. Fritz bietet uns ein Begrüßungsgetränk an. "Kaffee, Bier - Radler?" Ja holla!!! Wo sind wir denn hier? Das eiskalte Radler perlt herrlich unsere Kehlen hinunter. Annis Matratze steht an der Wand bereits bereit, so ist es vereinbart. Zusammen mit Sira auf dem Zimmer (mit anderen Pilgern) geht heute mal nicht, aber Frauchen auf einer Matratze bei Sira im Aufenthaltsraum - kein Problem!

Dann eine Neuigkeit: Alle haben sich in einen Arbeitsplan einzutragen. Jobs, wie Vorbereiten des Nachtischs, Decken der Vorspeise, Eindecken für's Frühstück u.a. sind zu vergeben. Anni und ich tragen uns brav in die Liste ein. Auf dem Zimmer liegt ein Zeitplan: 19 Uhr gemeinsames Essen, anschließend Informationen ("briefing") zum nächsten Tag, mit voraussichtlichem Wetter, Streckenverlauf, Bodenbeschaffenheit, nächste Übernachtungsmöglichkeiten. Ich bin gespannt.

Weitere Pilger treffen ein, ein ganzes Rudel Franzosen, und damit eine gehobene Lautstärke. Nanni und Johan bauen draußen vor dem Haus auf einer kleinen Wiese ihr Zelt auf. Das Abendessen haben sie aber mitgebucht. Fritz' Abendessen ist in Pilgerkreisen berühmt, und auch der sagenhaft günstige Preis. Pünktlich um 19 Uhr trifft sich alles frisch geduscht um den großen Tisch herum. Dann beginnt ein kulinarischer Hochgenuss. Hans, der Praktikant, hat vortreffliche Arbeit geleistet: ein Vorspeisen-Salat mit hervorragendem Dressing, eine Art Kürbis-Stew mit würziger Chorizo, zum Nachtisch Milchreis. Ich kann mich nur noch vom Stuhl rollen, als ich den Löffel aus der Hand lege. Das "briefing" läuft ab wie eine Lagebesprechung vor einer Bundeswehrübung: Fritz bringt eine Unmenge an Informationen, gibt Nanni und Johan sogar noch Tipps zum Wildcampen - jetzt weiß ich, warum er in diversen Internet-Jakobsweg-Foren eine Institution ist. Bestimmt nicht nur, weil er selbst einmal Pilger war.

Nach dem Abräumen des schmutzigen Geschirrs und dem einen oder anderen Glas Rotwein, zieht sich alles in die verschiedenen Schlafräume zurück. Nur Anni und ich decken noch den Tisch für's Frühstück - so steht es auf dem Arbeitsplan.

Ich bin sooo müde!!! Von gestern erzähle ich morgen, einverstanden!

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Kommentare: 3
  • #1

    Mama Ingrid (Sonntag, 05 Mai 2013 23:58)

    Hihi, okay, jetzt weiß ich, wie die Lücke im Blog entstanden ist, kann ich auch gut nachvollziehen. Wir haben uns halt schon Sorgen gemacht.
    Gut, dann erfahren wir (vielleicht) morgen von gestern ;-)
    Die Hauptsache ist, es geht euch gut und ihr seid weiter "am Ball".
    Französisches Essen, befreundete Pilger und ein Arbeitsplan - und dann auch noch französischer Rotwein, na ja, wer könnte da noch abends schreiben?!
    Irgendwie hab ich den Eindruck, dass "Darling Sira" euch schon lange den Rang abgelaufen hat :-)
    LG und Küssi an Darling

  • #2

    Mama Ingrid (Montag, 06 Mai 2013 00:07)

    Mhhh, also dieses Essen geht mir ja gar nicht aus dem Kopf! Hab euch schon oft genug bedauert und Kraft und Stärke gewünscht, aber manchmal beneide ich euch auch total - wie z.B. jetzt!
    Da hätte ich auch gerne mit dabei gesessen! Im übrigen, Anni, würde ich eh lieber allein mit meinem Hund auf einer Matratze im Aufenthaltsraum schlafen als im Pilgerzimmer mit "Mondscheinsonate" ;-)

  • #3

    Mama Ingrid (Montag, 06 Mai 2013 23:37)

    Hey, ihr schwächelt doch wohl nicht?!
    Jetzt sitze ich hier am Ende meines Arbeitstages, ein Glas Rotwein eingeschüttet und will die neuen Blog-Einträge lesen. Und - nix.
    Mann Mann, gibts jetzt übermorgen das von vorvorgestern, oder wie? Wir müssen schon auf die tollen Fotos verzichten, jetzt lasst uns nicht auch noch berichtmäßig aushungern!