Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Irgendwas bleibt

Tja, da war der Papa wohl mal wieder schneller und gewissenhafter als ich... Vor heute hatte ich aber auch echt keine Chance, mich mit der Homepage zu befassen, geschweige denn ein Fazit zu verfassen. Na, dann wollen wir mal!

 

Unser Ankommen hier war eigenartig. Ähnlich wie nach meiner Rückkehr aus Afrika ist bei mir der Kulturschock komplett ausgeblieben. Ich bin angekommen und hatte das Gefühl, ich war nur mal eben zwei Wochen in Urlaub. Nur dass es den Daheimgebliebenen irgendwie länger vorgekommen sein muss. Unsere Familie ist da, um uns zu begrüßen und schließt uns sehnsüchtig in die Arme. Ich freue mich, sie alle zu sehen, bin aber in erster Linie müde. Und da Sira noch an mir dranhängt, ist das Ganze auch ganz schön durcheinander und anstrengend. Den Rest des Tages sitzen wir gemütlich zusammen wie bei jedem anderen unserer Familientreffen. Kaum zu glauben, dass dieses sich von den anderen durch eine viermonatige Abwesenheit und dreitausend gelaufene Kilometer von den anderen unterscheidet. Es fühlt sich an wie immer. Es ist schön, wieder hier zu sein!

 

Die nächsten Tage verbringe ich damit, meine Wäsche zu waschen und mir einen neuen Job zu suchen. Ein bisschen ist alles wie immer, aber eben irgendwie auch nicht. Ich mache den Haushalt, genieße die Sonne im Innenhof, mache Spaziergänge mit Sira, genieße das heimelige Zusammensein mit meinem Freund, aber irgendetwas ist auch anders. Ich gehe jeden Tag mit Sira joggen, damit sie sich ein bisschen austoben kann. Ich bin sicherer im Umgang mit ihr und anderen Hunden. Ich finde immer noch Sand in meinen Wanderschuhen. Und wenn ich andere Schuhe anziehe, kriege ich sofort Blasen und stelle fest, dass Wanderschuhe einfach am allerbequemsten sind. Ich suche das erste Mal in meinem Leben nach einem Arbeitsplatz, bei dem ich vielleicht immer bleiben will. Die anderen Male hatte ich mir das Ganze selbst befristet, weil ich schon meinen nächsten Trip in die große weite Welt geplant hatte.

 

Mein jetziger Plan ist ein neuer: Ich plane - zu Hause zu sein und zu Hause zu bleiben. Das soll nicht heißen, dass ich nie mehr rausgehen möchte oder Urlaub mache. Das bedeutet nur, dass mein Hunger auf Mammutprojekte erstmal gestillt ist. Keine Frage, die Tour war toll und wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich es genauso wieder machen. Aber jetzt hab ich genug. Ich bin nicht "angefixt" wie Papa. Ich habe gemacht, was ich wollte und jetzt ist es an der Zeit, ein geregeltes Leben zu führen. Vielleicht in Urlauben mal die Welt um uns rum, in Deutschland und den angrenzenden Ländern kennenlernen, vielleicht im Zelt, vielleicht in Ferienhäuschen. Vielleicht über ein Wochenende oder zwei Wochen, aber nicht mehr monatelang. Vielleicht mit Freunden, vielleicht mit der Familie oder vielleicht nur mit meinem Freund.

 

Aber zur eigentlichen Frage: Was hat der Weg aus mir gemacht? Was hat er aus UNS gemacht? Ich habe nicht zu Gott gefunden. Ich wurde nicht erleuchtet. Ich habe keine Freunde fürs Leben gefunden. Ich bin nicht lockerer geworden. Ich habe meinen Reinlichkeitsfimmel nicht abgelegt. Wie Papa schon sagte, wird die Zeit erst zeigen und unser Umfeld uns sagen, inwiefern wir uns verändert haben. Vielleicht bin ich etwas stärker und flexibler geworden. Vielleicht bin ich enger mit meinem Hund zusammengewachsen, obwohl wir uns unterwegs manchmal echt genervt haben.

 

Ich weiß nur, dass ich es genossen habe. Ich habe es genossen, jeden Tag in der Natur zu sein. Jeden Tag auch durch Wind und Wetter zu laufen. Jeden Tag ein kleines Abenteuer zu erleben. Immer wieder mit fremden Menschen zu sprechen. Leute besser kennenzulernen. Eine Berühmtheit auf dem Camino zu sein. Auf unserem kleinen Kocher unser Nudelsüppchen zu kochen. Unser Zelt aufzubauen. Meinem Hund jeden Abend stolz sein Fell zu kraulen. Mindestens dreimal täglich unsere Homepage zu besuchen, um Klickeranzahl, Gästebucheinträge und Kommentare zu lesen. Sira am Strand durch den Sand wirbeln und sich mit den Wellen anlegen zu sehen. Und natürlich nicht zuletzt so viel Zeit wie noch nie mit meinem Papa zu verbringen. Papa, es war mir eine Ehre!

 

Was waren wohl die schönsten oder schlimmsten Momente auf unserer Tour? Für mich waren die schlimmsten, wie ihr wohl alle mitbekommen habt, die Tage nach unserem Schäferhundangriff. Ich habe ernsthaft über einen Abbruch nachgedacht. Umso stolzer bin ich, dass wir uns dem Problem mit Pfefferspray und Pilgerstab gestellt haben und auch nach dem Vorfall noch eine Menge Hundekumpels gefunden haben. Trotzdem: Ein tiefes Misstrauen Hunden gegenüber, vor allem Schäferhunden, ist zumindest bei mir geblieben. Wir arbeiten weiter daran, in der Hundeschule und mit jedem anderen freundlich gesinnten Hund, den wir treffen.

 

Die schönsten Momente? Wir haben viel Herzlichkeit empfangen bei den Menschen in Frankreich, bei denen wir umsonst schlafen durften. Das waren wirklich besondere Momente. Auch das Gefühl der Pilgergemeinschaft, zum Beispiel bei einem spontanen Sit-In mit völlig Fremden vor der Pilgerherberge von San Juan de Ortega. Und natürlich diese besonderen ergreifenden Momente mit meinem Papa vor der Kathedrale von Burgos, wo plötzlich aus riesigen Boxen der Gefangenenchor von "Nabucco" ertönt, auf dem Kathedralsvorplatz von Santiago de Compostela, beim Sonnenuntergang überm Meer in Fisterra und auf den Felsen von Muxia, wo uns der Wind bald davongepustet hätte. Kein Mensch kann dieses Gefühl beschreiben, wenn man es nicht selbst erlebt hat.

 

Und nun noch ein paar Worte für alle Hundebesitzer: Ist es empfehlenswert, mit Hund zu pilgern? Das können wir nur mit einem klaren "Ja" beantworten. Natürlich sollten gewisse Grundvoraussetzungen erfüllt sein. Der Hund sollte nicht unbedingt schon "vom alten Eisen" sein. Jeder sollte sich seinen Hund vor Augen führen. Kann er in dem Alter und mit dem Trainingsstand Spaß haben an einem solchen Weg? Wie geht der Hund mit Menschen um? Wie verhält er sich zu anderen Hunden? Wie reagiert er auf stetig wechselnde Schlafstätten, unter Umständen auch im Zelt? Kommt er mit stetig wechselndem Futter klar? Wir hatten das Glück, dass wir jede dieser Fragen zufriedenstellend beantworten konnten. Sira hatte bis zum letzten Tag jeden Morgen Freude daran, aufzubrechen und Neues zu erleben und zu entdecken. Sie und ich haben Dinge gelernt, die uns keine Hundeschule dieser Welt beibringen könnte. Wir waren uns so lange und intensiv nah wie noch nie. Wir sind zu einer Einheit zusammengewachsen. Klar, es wäre noch einfacher gewesen, wenn sie top erzogen wäre und keinen Jagdtrieb hätte, aber man nimmt die Dinge eben, wie sie kommen. Und wir hatten eine tolle Tour gemeinsam.

 

Man muss ein höheres Budget einplanen oder Wind-und-Wetter-Zelter sein. Außerdem ist es sinnig, sich seine wie auch immer geartete Unterkunft im Voraus telefonisch zu sichern, um bösen Überraschungen am Nachmittag vorzubeugen. Niemand möchte nach 25 gelaufenen Kilometern nochmal sieben Kilometer weitergeschickt werden, wenn die Herberge keine Hunde akzeptiert.

 

Natürlich, Hundepilgern ist anders als normales Pilgern und ich empfehle jedem, beides zu probieren, aber es ist definitiv ein besonderes und lohnendes Pilgern, das keinesfalls unmöglich ist und sehr wertvoll für die Mensch-Hund-Beziehung.

 

Tja, und jetzt sitze ich hier, in meinem immer noch nicht ganz beseitigten Rückkehrer-Chaos. Mein Rücksack ist immer noch nur halb ausgepackt und steht neben meinem Bett. Vielleicht will mein Unterbewusstsein sagen, dass ich doch noch nicht ganz angekommen bin. Der Rucksack steht quasi allzeit bereit für neue Schandttaten. Geht die Reise noch weiter? Gibt es ein neues Projekt, irgendwann, irgendwohin? Das gehört wohl in einen neuen Internetblog...

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Kommentare: 3
  • #1

    Lore aus Lohmar (Donnerstag, 11 Juli 2013 20:05)

    Hallo Annika,
    danke Dir für Deinen Bericht. Vielleicht haben wir mal Gelegenheit, persönlich darüber zu sprechen.
    Ich wünsche Dir, dass Du DIE Arbeitsstelle findest.
    Lieben Gruß
    Lore

  • #2

    Dani (Freitag, 12 Juli 2013 09:34)

    Der Hobbit ist zurück gekehrt!

  • #3

    Anke (Freitag, 19 Juli 2013 15:37)

    Hallo Liebe Annika, buen Camino,
    erst einmal herzlichen Glückwunsch!! Noch immer bin ich voller Bewunderung für Eure Leistung und freue mich über das große Glück euch getroffen zu haben. Mein Weg auf den Camino hat mich Euch begonnen und als ich euch dann auch noch vor dem Pilgerbüro am Ende meines Weges getroffen habe empfand ich das als ein wunderbares Geschenk. Noch mal vielen Dank für eure gute Energie.

    Wir sind am 17 Juli mit vielen Hindernissen auf dem letzen Teil unserer Reise in Braunschweig angekommen. Es gibt viel zu erzählen.
    Ich würde sehr gern mit dir telefonieren. Wenn du magst ruf mich gern an. 0531-330870 oder 016091267790

    Viele liebe Grüße an deinen Vater und Sira.

    Alles Liebe und Gute,

    Anke