Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Böse böse Sonne!

Von Estorde nach Fisterra, 11 km

Wie beschreibt man den Tag, an dem man fast bis ans Ende der Welt gelaufen ist? Wie erzählt man, dass man sich, dem alten Brauch folgend, im klirrend kalten Meer gewaschen hat? Wie gibt man den Leuten ein Gefühl davon, wie sich der Sand, auf den man seit 3000 km zuläuft, zwischen den Zehen anfühlt? Wie sorgt man dafür, dass die Leute die fangfrische Paella, die wir uns als Festtagsmenü gegönnt haben, praktisch schmecken können? Am Besten, indem man der Reihe nach erzählt.

Der Wecker klingelt heute zur Feier des Tages erst um sieben. Um zehn vor sieben sagt meine innere Uhr mir bereits, dass ich verschlafen habe. Ich werde wach und kann nicht mehr einschlafen. Na toll. Dann kann ich auch aufstehen...

Wie immer, wenn wir im Zelt schlafen, gilt meine erste morgendliche Aufmerksamkeit meinem Hund. Sira wird ausgeführt, noch bevor ich überhaupt zur Toilette war oder mir die Zähne geputzt hab. Frei nach dem Motto: "Man pupst sich nicht auf's eigene Kopfkissen", will ich sie gar nicht erst in Versuchung bringen, also raus an die Straße.

Als wir aus dem baumbeschatteten Campingplatz hinaus ins "Freie" treten, trifft Sira bald der Schlag. Eine dicke, niedrige, weiße Scheibe von Restvollmond klebt am Himmel. Sie macht sich bald ins Fell. Zitternd sackt sie auf den Boden und an irgendwelche Toilettengeschäfte ist nicht mehr zu denken. Mühsam versuche ich sie in Gegenden zu bugsieren, in denen sie den Mond nicht sieht, hinter Häuser oder Hecken, aber meine Sira weiß genau, wo sich der Feind befindet und flüchtet, so gut und so schnell sie kann, Richtung Campingplatz. Sie bewegt sich, als wäre der gemeinste, brutalste und gruseligst aussehende Mensch mit Knüppel hinter ihr her und wollte sie verdreschen. Am Zelt angekommen, schicke ich sie in Schutzhaft in die Apsis. Das Zittern lässt langsam, aber nur ganz langsam nach.

Kurze Zeit später lauert auch schon der nächste Feind: Die Sonne geht über dem Berg auf und verbreitet herrliche Morgenstimmung. Sira gruselt sich. Zum Frühstück kommt Sira mit ins Zelt, damit sie sich beruhigt. Kurze Zeit später ist das Spektakel vorbei. Die Sonne steht klar und deutlich am Himmel. Kein Thema mehr für meinen Hund.

Ein letztes Mal packen wir routiniert das Zelt und unsere Siebensachen zusammen und verlassen den Campingplatz. Bis zum Fischerörtchen Sardiñeiro laufen wir an der wenig befahrenen Landstraße entlang, zu unserer Linken immer wieder herrliche Blicke auf das Meer in all seiner Pracht.

Im Ort teilt sich der Weg. Man kann wählen zwischen dem Ortsweg und dem Höhenweg. Ganz klar: Höhenweg! Nach der ersten steilen Plackerei über steinige Pfade werden wir mit grandiosen Ausblicken belohnt. Nach einer Weile auf abenteuerlichen, farnbewachsenen Wegen sehen wir Fisterra unter uns am Meer liegen, davor seinen wunderschönen, gut zwei Kilometer langen feinen Sandstrand.

Als wir ihn tatsächlich erreichen, packt mich irgendwie eine komische Stimmung. 3000 km. Wir sind ganz kurz vorm Ende unserer Reise. Lange stelle ich mir vor, wie es sich anfühlen wird, seine Füße nach dieser langen Zeit aus den stickigen Schuhen zu befreien und in den herrlichen körnigen Sand zu stecken. Ich tu es! Schuhe aus, Socken aus, hmmmmm. Herrlich! Ich liebe Sandstrände.

Wie es der Brauch will (und weil ich schließlich am Meer bin), ziehe ich Wanderhose und Shirt gleich mit aus, um ins Wasser zu gehen und mich zu reinigen. Naja, das ist wohl mehr was Symbolisches. Um mich zu reinigen, brauche ich schon warmes Wasser und Duschgel. Aber fürs erste soll es reichen. Nach kleiner Tobeeinheit mit Sira am Strand, wage ich mich ins kühle Nass. Meine Herren, das ist so kalt, dass ich Kopfschmerzen davon kriege! Trotzdem wage ich mich wenigstens kurz komplett ins Wasser (MIT Untertauchen!), bevor ich klappernd wieder raushüpfe.

So, und jetzt schön den Rucksack auf den halbnackten und nassen Körper. Aua aua! Wie machen das denn bitte schön diese Nacktwanderer? Das zwickt und zwackt mir ja jetzt schon überall. Wie soll das denn mit noch weniger Kleidung sein? Als wir nach einer halben Stunde am Ende des Strandes angekommen sind, bin ich froh, dass wir Pause machen und ich mich wieder anziehen kann. Der Wind und die Sonne haben mich gnädigerweise inzwischen einigermaßen trocknen lassen.

 Nach der Pause laufen wir endlich ein in Fisterra, der Stadt am Ende der Welt. Als wir den zentralen Punkt der Stadt erreichen, an dem die Cafés sind, die öffentliche Pilgerherberge ihren Platz hat und die Busse ankommen, treffen wir gleich Hinz und Kunz. Ricarda begrüßt uns, ebenso diverse andere Mitpilger, die man unterwegs getroffen hat, und Heidi, die Hospitalera, die wir eine gute Woche zuvor kennen gelernt haben.

Mehrere Leute quatschen uns an, um uns Unterkünfte anzubieten, aber wir haben vorreserviert. Nicht ganz billig soll es sein, dafür aber bei einem Deutschen, der am Telefon sympathisch klang und mit dem ich keine bösen Überraschungen mit Siras Schlaflösung zu erwarten habe. Das lassen wir nicht sausen!

 Nach einigem Umherirren und Suchen finden wir unsere schöne familiäre Herberge "Casa El Camino", wo uns Hospitalero Jan, seine spanische Frau Rosa und ihr freundlicher Rüde Compis erwarten. Die Pension liegt etwas außerhalb, nah am "hinteren", untouristischen und etwas alternativen Strand, mit wundervollen Aussichten. Das ist genau das Richtige für unseren morgigen Ruhetag! Ein gelungener Abschluss unserer Reise.

Nachdem wir unser Gepäck abgeworfen und unsere Wäsche zum Waschen abliefern durften und uns "warm welcome"-Brote haben schmecken lassen, machen wir uns noch einmal auf den Weg in den Ort.

 Wir haben uns entschieden, uns den Gang zum Kap Finisterre, zum letzten Zipfel, für unseren morgigen Ruhetag aufzusparen. Einkaufen können wir auch nichts, denn es ist San Xuan, ein Feiertag. Na toll, Sira braucht doch dringend Futter! Rosa hilft aus: Sira wird heute von Compis zum Essen eingeladen. Danke, Compis, danke Rosa!

Wir schlendern in den Ort, an den Hafen und sehen den Fischern beim Entladen ihrer Kähne zu. Unzählige Möwen kreisen gierig über ihnen, um den einen oder anderen eventuell aussortierten Fisch zu ergattern.

So langsam meldet sich auch unser Magen. Da wir schließlich am Meer sind, entscheiden wir uns spontan für ein Abendessen am Hafen. Paella, Brot, Getränk und Nachtisch für 7€, da kann man nicht meckern... Und all diese leckeren Meeresbewohner! Krabben, Riesenkrabben, Tintenfischchen, Jakobsmuscheln, andere Muscheln... Mjamjam. Nur doof, dass ich Banause nicht so genau weiß, wie man das alles isst... Papa ist da auch nicht viel erfahrener und so wird das Ganze, bei mir zumindest, zu einer ganz schönen Sauerei. Aber einer leckeren!

Bald machen wir uns zurück auf den Weg in unsere Unterkunft, wo wir ziemlich ausgedehnte Schwätzchen mit unseren Gastgebern führen, während die Hunde miteinander spielen.

Abends brechen wir noch einmal auf. Wir wollen den Sonnenuntergang am Strand sehen! An "unserem" Strand, dem "Praia de Mar de Fora" streifen wir erst entlang, sehen den Surfern auf dem Wasser zu und Sira, die neue Hundebekanntschaften schließt. Eine Handvoll Menschen sitzt vereinzelt am Strand oder in den Dünen, vermutlich Urlauber. Andere scheinen länger hier zu sein. In den Dünen stehen Zelte. Vermutlich wohnen die wettergegerbten Leute, die drumherum jonglieren, meditieren oder Gitarre spielen, darin, zumindest an den schönen Tagen.

 Am Ende des Strandes laufen wir über Bretterwege hinauf auf die Dünen zu einer Aussichtsplattform. Circa eine halbe Stunde lang schauen wir dem Sonnenuntergang zu und sind ergriffen von seiner Schönheit und diesem sehr gelungenen Teil des Abschieds. Kurz bevor die Sonnenscheibe ganz am Horizont verschwindet, nimmt Sira erst Notiz von ihr. Der Tag endet, wie er begonnen hat: Böse, böse Sonne!

Es ist schön am Ende der Welt!

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Kommentare: 2
  • #1

    Dani (Mittwoch, 26 Juni 2013 09:34)

    Ich sag nur:Gänsehaut.

  • #2

    Mama Ingrid (Sonntag, 30 Juni 2013 22:54)

    Anni, du hast mir geschrieben, als ihr dort angekommen seid, und ich habe den Sonnenuntergang mit euch erlebt in Gedanken.
    Leider konnte ich nicht mehr zeitgleich kommentieren, weil ich einige Tage in England war. Ihr seid wieder da, ich habe euch gesehen und in meine Arme geschlossen.
    Aber ich werde heute Abend alles lesen, was ihr noch erlebt habt, sonst fehlt mir was.
    MEERESFRÜCHTE! Mjam mjam, lecker, in jeder Form:-)Hihi, ich hätte euch da helfen können, ich weiß, wie man alles knackt und verputzt.
    Arme Sira! Heulen nicht Hunde wie Wölfe immer den Mond an? Das ist doch irgendwie genetisch.
    Das glaub ich, dass es schön ist am Ende der Welt!