Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Peanutbutter and paradise!

Von Villares de Orbigo nach Santa Catalina de Somoza, 25 km

Anni hat heute Nacht unter ihrer dünnen Decke etwas gefroren. Aber das war fast zu erwarten. Erstens ist sie eine Frostbeule und zweitens hatten wir die ganze Nacht über die Zimmertür zum Hof offenstehen. Schließlich lag Sira draußen vor der Tür auf der Fußmatte und hat dort die Nacht verbracht. Das war der Deal mit Pablo, unserem freundlichen Hospitalero. Aber sie sollte uns wenigstens sehen, hören, wittern können, wenn sie schon nicht ganz bei uns sein durfte. Bis auf ein kurzes Zwiegespräch, das Sira mit dem Hund von Pablo durch die Hauswand führte, hatte das liebe Hundemädchen eine erholsame Nacht. Nur, wie gesagt, Anni hat gefroren.

Als wir praktisch fertig sind zum Abmarsch, will uns Pablo dann doch noch seinen Hund zeigen - und steht auf einmal mit einem riesigen behaarten Muskelschwein im Hof. Sira macht vor Schreck einen Riesensatz und springt  Anni fast in die Arme. Auf der Straße vor der Herberge fangen sie dann aber bald ein lustiges Spiel zusammen an und rennen umeinander herum.

Fast tut es uns leid, das neckische Miteinander der beiden zu beenden, aber wir müssen los. Das heißt, für einen Moment bin ich mir nicht sicher, ob wir tatsächlich aufbrechen sollen, denn der Himmel ist in Laufrichtung tiefschwarz. Die hinter uns aufsteigende Sonne verursacht sogar einen halben Regenbogen, was nur bedeuten kann: Reichlich Regen voraus!

Doch so richtig will er gar nicht fallen. Womit wir natürlich kein Problem haben. Mein Problem ist eher die sehr geröllhaltige Piste, die ich so von der Meseta nicht mehr kenne. Zumal es jetzt auch wieder bergauf und bergab geht, zwar in Maßen, aber immerhin. Auf einer Anhöhe kommen wir an ein altes Wegekreuz mit einer kleinen Sitzbank dabei. Am Fuße des Kreuzes liegen viele von Pilgern dort abgelegte Steine. Felssplitter, abgeschliffene Feldsteine, Verse draufgeschrieben, kleine Kunstwerke eingeritzt. Jeder dieser Steine hat seine eigene Geschichte. Wer hat einen Stein hier hingelegt? Warum?

Ein wenig abseits vom Wegekreuz steht eine als Tempelritter verkleidete Modepuppe. Eine Bar des nächsten Dorfes nutzt sie als Werbeträger. Von weitem hat sie eher etwas von einer Vogelscheuche. Die meisten Pilger, die mit uns hier vorbeikommen und einen Moment verweilen, fotografieren. Nicht das schöne Stillleben von Wegekreuz, Ruhebank und Steinen, sondern die Modepuppe. Bescheuert!

Auf einer nächsten Anhöhe, sechs Kilometer vor Astorga, dann mal wieder ein Erlebnis der besonderen Art. Vor uns taucht am Weg neben einem abgewrackten Feldschuppen etwas auf, das wie ein kleiner Verkaufsstand aussieht. Bei näherem Hinkommen erkennen wir: Ist auch einer! Arbeitet hier gerade wieder jemand an seiner Geschäftsidee und verkauft dem vorbeiziehenden Pilger einen Fingerhut voll Kaffee für einen Euro?

"Welcome in paradise!" ruft uns ein smarter, braungebrannter Vierziger zu, der gerade dabei ist, seinen Außenofen mit Kleinholz zu befeuern. Auf dem Ofen steht ein alter Heißwasserkessel, der wohl für den Nachschub an heißem Wasser für die Kaffeekannen sorgt. Eifrig zeigt uns David - als solcher stellt er sich später vor - sein Warenangebot: Kaffee, verschiedenste Säfte aus ökologischem Anbau,- zig Tee-, ja sogar Milchsorten (!), Brot, Marmelade, Butter, eine Schale mit Haselnüssen, eine große Schale mit frischem Obst u.a. "Alles umsonst! Bedient euch! That's the spirit of the camino!", sagt David strahlend. Moment mal, Freundchen, denke ich, irgendwo ist doch hier ein Haken! Aber ich erkenne keinen. Zwar sehe ich eine dezent halb versteckte Donativo- (Spenden-) Box, aber da kann man etwas reinwerfen,es aber auch lassen. "Take what you want! It's for free! That's the spirit of the camino!" Irgendwelche Werbeflyer für spätere Unterkünfte oder Bars liegen auch nicht aus. Macht David das wirklich nur, um erschöpften Pilgern damit eine Freude zu machen? Es sieht tatsächlich so aus. Anni und ich überwinden unser anfängliches Misstrauen und bedienen uns. Mit Kaffee, Tee, Marmeladenbrot und Bananen lassen wir uns auf einer überdachten Polsterfläche nieder, die vor einer bemalten Wandfläche steht. Einer von uns hätte sich auch in die benachbarte Hängematte legen können, aber da kommt man manchmal ganz schön schwer rein bzw. wieder raus.

Weitere Pilger kommen. Viele von ihnen kennen wir. Auch sie schauen zunächst etwas irritiert, als ihnen das "Welcome in paradise!" entgegenschallt, mit dem David jeden begrüßt. Auch für die Vorbeiziehenden hat er ein freundliches Wort. Viele dann doch entspannt Rastende kommen ins Gespräch, die meisten über den Weg der Verwunderung über diesen besonderen Ort. Anni und ich z.B. unterhalten uns eine Weile mit Sarah und Jessica, zwei Amerikanerinnen, die zuvor in Verzückung ausgebrochen waren, als sie in Davids Warenangebot tatsächlich Peanutbutter entdeckten. Fast eine Stunde verweilen wir "in paradise", bevor wir uns wieder auf den Weg machen.

Über eine Hochfläche kommen wir bald darauf zum großen Wegekreuz von Santo Toribio, von wo wir einen herrlichen Blick auf die ehemalige Bischofsstadt Astorga und die dahinter liegenden Berge der Montes de León genießen können. Von hier aus geht es nur noch bergab nach Astorga hinein.

Inzwischen hat es angefangen zu regnen und unseretwegen könnte der Wandertag jetzt zu Ende sein. Anni ist heute nicht gut drauf, schleppt sich etwas dahin, aber wir haben noch neun Kilometer vor uns. Wir brauchen aber noch ein paar Lebensmittel. In der Nähe der Kathedrale finden wir einen Supermarkt. Anni geht rein und ich lasse mich draußen dort, wo der Regen mich nicht erwischen kann, mit Sira auf dem Boden nieder. Vorbeigehende Fußgänger mustern uns beide im ersten Augenblick skeptisch, dann aber taucht meist ein Lächeln um ihre Mundwinkel auf, zum einen weil wir als Jakobspilger erkannt werden, zum anderen bestimmt aber auch wegen der seelig schlummernden Sira. Als Anni aus dem Supermarkt wieder herauskommt, entschließen wir uns, eine weitere Rast zu machen und einfach hier sitzenzubleiben. Der Regen hat mittlerweile aufgehört und sogar die Sonne scheint wieder. Ältere Leute und Kinder kommen vorbei und nehmen sich manchmal die Zeit, Sira zu tätscheln. Und Sira erträgt das alles mit ihrer Seelenruhe und Liebenswürdigkeit.

Am Bischofspalast von Stararchitekt Gaudi und an der großen Kathedrale gehen wir nur noch vorbei. Viele Kathedralen haben wir nun schon gesehen, auch von Innen. Da können wir uns diese heute mal schenken. Wir bewundern beide noch einen Moment die kunstvolle Außenfassade, dann geht es schnell raus aus Astorga.

Annis Form sinkt immer tiefer. Die Luft wird auch immer erdrückender und ermüdender. In Murias de Rechivaldo braucht sie nochmal eine Pause. Ihr ist sogar nach einem kurzen Nickerchen. Sie legt sich vor unserer Ruhebank auf den Bürgersteig, legt ihre Beine auf deren Sitzfläche und ratzt tief und fest zehn Minuten ab. Danach hat sie Kraft genug für die letzten vier Kilometer bis Santa Catalina.

Diese ziehen sich nochmal auf einer schmalen Schotterpiste schnurgerade dahin. Dann endlich sehen wir den Kirchturm unseres Zielortes vor uns und stehen kurz darauf vor der Tür unserer Herberge.

Ein Mann, von dem wir annehmen, dass er der Hospitalero ist, spricht uns an, winkt uns durch den Innenhof hindurch und führt uns in den hinteren Bereich der Herberge. Mir schwant schon nichts Gutes. Und richtig! Als Schlafgelegenheit für Sira weist er uns einen Platz in einer Art Geräteschuppen zu. Wieder haben wir uns wohl bei der Reservierung am Telefon nicht so richtig verständlich machen können. Verdammter Dreck! (Entschuldige, Jakobus!) Wir lehnen das Angebot ab und fragen nach einer Zeltmöglichkeit. Zu unserer Überraschung reagiert der Mann nun sehr freundlich und hilfsbereit. Er sagt, dass wir im naheliegenden Park zelten könnten und führt uns sogar hin. Die kleine Grünfläche bei einem Spielplatz entspricht durchaus unseren Vorstellungen, hat sie doch sogar mit einem Brunnen aufzuwarten. Wir sind zufrieden, bedanken und verabschieden uns vom Hospitalero.

Wir schnaufen ein paar Minuten durch, und gerade wollen wir mit dem Zeltaufbau beginnen, kommt Herr Hospitalero wieder angesprintet. Aus dem, was er nun hervorsprudelt, entnehmen wir, dass es sich wohl um ein Missverständnis handelt, Chefin hätte gesagt, wir hätten doch mit Hund ein Zimmer gebucht und das bekämen wir jetzt auch. Also alles wieder retour und zurück zur Herberge.

Das Zimmer ist schön, mit Bad und großer Terrasse. Alles ist gut! - Das Abendessen auch.

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Kommentare: 3
  • #1

    Dani (Freitag, 07 Juni 2013 12:11)

    Durchhalten Anni! Das ist nur ein kleines Tief vor dem großen Finale.

  • #2

    Fritz (Freitag, 07 Juni 2013 14:51)

    Na da bin ich mal auf den nächsten Eintrag gespannt. Mit einer Übernachtung in Catalina de Somoza seid ihr prädestiniert für eine Übernachtung bei Thomas, dem letzten "Tempelritter". Wagt ihr es?

    Der Abstieg von Acebo nach Molinaseco wird haarig mit dem Wheely. Bin in gegangen. Musst halt häufig bremsen und manchmal auf ein Rad kippen. Ist aber machbar. Zusammenarbeiten ist dann das Motto. Strasse ist viel zu lang wegen der vielen Kurven und Serpentinen.
    Gruss Fritz

  • #3

    Mama Ingrid (Samstag, 08 Juni 2013 01:17)

    trotzdem ist alles gut, oder?