Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Wer mag schon Katzen?

Von Leon bis Villar de Mazarife, 22 km

Das Frühstück ist für spanische Verhältnisse reichlich. Natürlich gibt es auch in unserer Pension Blanca in Leon nicht Wurst und Käse, aber ein kleines Frühstücksbuffet verwöhnt hier mehr als in manch anderer Unterkunft. Wir können so viel "Brot" toasten und mit Marmelade beladen wie wir wollen, der Müsliautomat spuckt ordentlich und Kaffee, Tee, Kakao und Orangensaft stehen zum Nachschenken bereit. Also "All you can eat!".

Der Gang aus der Großstadt hinaus ist so nervend wie immer. Bürgersteig rauf, Bürgersteig runter mit dem Wheely, Slalom um die Fußgänger, Warten an roten Fußgängerampeln, Autolärm und Krankenwagen mit Martinshorn. Sira erträgt es äußerlich ruhig, wie genervt sie im Inneren ist, vermag ich nicht einzuschätzen.

Kurz bevor wir den städtischen Bereich verlassen, einige nette Begegnungen: Wir treffen einen sog. Rückkehrer. Rückkehrer sind Pilger, die offensichtlich auf dem Rückweg von Santiago sind. Es gibt sie, diejenigen, die meinen, dass ihre Pilgerschaft erst mit dem abgeschlossenen Rückweg beendet sein kann. Haben sie nicht Recht? Sind die Pilger des Mittelalters mit Bus und Bahn oder gar mit dem Flieger nach Hause zurückgekehrt? Ich könnte mich mit diesem Gedanken auch sehr anfreunden, vielleicht über eine andere Strecke. Jedenfalls kommt dieser Rückkehrer mit vorfreudigen Augen auf uns zugelaufen, fragt auf Spanisch und gestikulierend, ob er unseren Hund streicheln dürfe und stürzt sich nach unserer Erlaubnis mit Begeisterung auf Sira. Innerhalb von Sekunden kommt der Moment, der uns unterwegs nun schon öfter vorgekommen ist: Er streichelt Sira zunächst nahezu ekstatisch - dann beugt er sich nieder und bietet dem süßen Hund sein Gesicht zum Abküssen an. Sira, nicht faul, wählt sein Ohr und reinigt es intensiv mit ihrer Zunge. Unserem Rückkehrer steigen vor Rührung die Tränen in die Augen. Er bedankt sich für diesen schönen Augenblick und zieht weiter.

Bald darauf sitzt die holländische Pilgerin draußen am Tisch einer Bar, mit der ich auf dem Campingplatz in Castrojeriz die Blockhütte teilen durfte. Damals erzählte sie mir, dass sie an Alzheimer leide und auf dem Weg beschlossen habe, ein Buch über ihr Leben mit dieser Krankheit zu schreiben. Sie wollte damals einen Ruhetag einlegen, um damit anzufangen. Jetzt sitzt sie zufrieden lächelnd hier, erzählt, dass sie mit dem Zug "überbrückt" und gerade eine Massage hinter sich hat, jetzt noch einen weiteren Ruhetag einlegen will, um dann mit frischer Kraft und neuer Motivation weiterzugehen.

Die nächsten sind zwei Südafrikanerinnen, die wir an anderen Tagen bereits gesehen haben. Sie fragen, ob sie jetzt endlich ein Foto von Sira machen könnten. So oft hätten sie es schon vorgehabt, jetzt endlich soll es doch so weit sein. Wir bringen Sira in Position und es klickt mehrmals. Inzwischen kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Siras Ablichtung bald auf allen Erdteilen vertreten sein wird.

Zum Schluss zwei Französinnen, Mutter und Tochter. Sie erzählen uns ("You are famous"!), dass sie seit Tagen schon von uns hören, sich jetzt freuen, uns endlich kennenzulernen. Schon oft haben wir unterwegs gehört, dass wir auf dem Camino Gesprächsstoff sind.

Die letzte Begegnung bezieht sich nicht auf Menschen. Schon oft fanden wir irgendwo abgelegt oder aufgehängt Kleidungs- oder Ausrüstungsstücke, die offensichtlich ein Pilger verloren hat: Pullover, Handschuhe, Schals, T-Shirts, Unterhosen (!!!). Ich glaube, auf die Dauer könnte man sich mit Fundsachen komplett neu einkleiden. Entlang einer Ortsdurchgangsstraße hängt zur Abwechslung jetzt mal ein Walkingstock mit Knauf an einem Verkehrsschild. Merkt man nicht, wenn man so etwas verliert?

Hinter La Virgen del Camino, praktisch einem letzten Vorort von Leon, teilt sich der Weg wieder in eine Haupt- und eine Nebenstrecke. Die Empfehlung von Raimund Joos im Gelben Führer ist eindeutig: "Sie ... erreichen ... die Weggabelung, wo sich Ihr Schicksal für die nächsten ein bis zwei Wandertage entscheidet." Er spricht sich vehement für die Alternativstrecke aus, die nicht hauptsächlich an der viel befahrenen Nationalstraße N 120 entlangführt. Zitat: "Diese Route ist nur ausgesprochenen Masochisten, eingefleischten Autoliebhabern und Menschen, die auf dem Jakobsweg besonders große Sünden abbüßen wollen, zu empfehlen."

Da wir (nahezu) sündenlos sind, wählen wir natürlich die Alternativroute. Über die Weite der kastilischen Felder führt sie uns auf einsamer Piste bis zu unserem Tagesziel Villar de Mazarife. Grillen zirpen um die Wette, der Kuckuck ruft lauthals aus den wenigen Bäumen und sogar ein Storch stolziert auf der Schotterpiste herum. Die Sonne knallt, aber es geht ein leichter angenehmer Wind. Genuss ist wieder angesagt.

Vier Kilometer vor dem Ziel, in Chozas de Abajo, nochmal eine Rast im Schatten der Veranda der örtlichen Bar. Ich hole von drinnen zwei Bocadillos, einen mit Schinken und Käse für Anni, den zweiten mit Thunfisch und Tomaten für mich. Dazu eine Cola und einen Café con leche und einen Tisch im Schatten - alles super! Gemütlichkeit greift um sich und ich beiße herzhaft in meinen üppigen Thunfisch-Bocadillo. Und kleckere mir das dabei herausquellende Thunfischöl quer über mein T-Shirt. Das kann ich leiden!

Anni hat ,noch während ich bestelle ,ihren Stress. Eine der Dorfkatzen stolziert arschwackelnd in Siras Blickfeld. Sira flippt natürlich wieder aus, aber Fräulein Katze ist keinesfalls beeindruckt. Sie legt sich gelangweilt hin und denkt im Traum nicht daran, sich zu trollen. Erst dem herbeigeeilten Wirt gelingt es, sie zu verscheuchen - mit dem Erfolg, dass sie ums Haus herumläuft, auf der anderen Seite wieder auftaucht und das Theater von vorne losgeht. Warum können eigentlich diese beiden Tierarten so schlecht miteinander? Ich weiß ja, dass es Ausnahmen gibt, aber davon merken wir im Moment so gar nichts.

Zum Schluss nochmal eine knappe Stunde Asphalttreten, kein Problem, die Straße ist kaum befahren. Am Ortseingang von Villar de Mazarife treffen wir sofort auf unsere Herberge. Davor sitzen auf einer großen Wiese, wie schon in Mansilla de las Mulas, eingetroffene Pilger an Plastik-Tischgruppen und teilweise unter Sonnenschirmen und genießen so ihren Feierabend. Das wollen wir auch.

Dürfen wir aber nicht! Zeltaufbauen auf der Wiese frühestens ab 19 Uhr erlaubt! Na bravo! Während ich uns anmelde, haben Anni und Sira die erste Katze entdeckt, die über das Grundstück schleicht. Mit den Folgen, die mittlerweile bekannt sein dürften. Nochmal bravo! Außerdem ist für Sira auf der vollkommen von der Sonne beschienenen Wiese kein schattiges Plätzchen zu finden. Gar nicht gut!

Anni ist hochgradig genervt und will hier weg, auch wenn wir schon bezahlt haben. Sie macht sich bei den anderen zwei Herbergen des Dorfes auf die Suche nach einer Alternative, findet aber dort nur ähnliche Verhältnisse oder keine Wiese zum Zeltaufbauen. Im Laufe des Abends entspannt sich die Lage und um 21 Uhr steht das Zelt.

Mal sehen, was die Nacht noch so für uns bereithält ...

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Mittwoch, 05 Juni 2013 23:19)

    Na, das mit Hund und Katze ist ja schon sprichwörtlich. Sie haben eben eine total unterschiedliche Körpersprache; die Verbrüderung ist eher unnatürlich.
    Aber echt jetzt, Sira wird ja langsam zur LEGENDE!
    Tja, als Pilger mit Hund hat man es dafür abends halt nicht immer gleich gemütlich :-)

  • #2

    Fritz (Freitag, 07 Juni 2013 14:44)

    Erinnere mich gerade daran, daß ich im Winter 2011 in Atapuerca übernachtete, Leon am ("unverbrauchten") Morgen durchstreifte. Die Pforte an der Kathedrale wurde gerade geöffnet. Mit dem Wheely ist es leichter die Bordsteinkanten schräg anzufahren, dann rumpeln die Räder nach einander über die Kante mit geringem Krafteinsatz.
    Bin damals gleich durchmarschiert nach Villar de Mazarife.
    Gruss Fritz