Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Der erste Straßenhund

Von Carrion de los Condes nach Ledigos, 24 km

Da hat er ja nochmal Glück gehabt! Die Nacht im Zelt ist Papa erspart geblieben. Manchmal setzt der liebe Gott einfach Zeichen. Vielleicht war es für Papa einfach noch nicht die richtige Zeit. Die kommt schon noch!

 

In unserem wunderschön eingerichteten Studio lassen wir es uns richtig gut gehen. Ich nutze alles an Elektrogeräten, was da ist. Die Waschmaschine wird angehauen, der Ofen wird mit Auflauf bestückt und die O-Saft-Presse wird uns am Morgen das Frühstück verfeinern. Außerdem gibt's zum Frühstück die Reste der Nudeln vom Abendessen und fünf Rühreier. Das letzte übrige Ei bekommt Sira roh in ihren Napf geklatscht. Soll schließlich für jeden ein toller Aufenthalt gewesen sein!

 

Trotz des Wahnsinnsfrühstücks komme ich nicht so recht auf die Beine. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich hab im Bett nur kurz die Augen zu und wieder auf gemacht, und schon klingelt der Wecker und die gesamte Nacht ist rum. Aber wie schon so oft: Es hilft ja nichts!

 

Wir machen uns also auf den härtesten Abschnitt der Meseta. Heute geht es 24 km lang immer geradeaus, ohne nennenswerte Steigung. Einfach immer weiter. Man hat also weeeeeeiite Sicht voraus. Der Wind hält sich in Grenzen, weg ist er aber nicht. Die erste Hälfte unseres Tages macht er angenehm. Die Sonne scheint, zu heiß ist es aber nicht.

 

Weniger angenehm ist mal wieder mein körperliches Befinden. Heute ist es zur Abwechslung mal die Leiste, die zankt. Unser Schritt ist seit der Meseta ein ganz anderer. Wir laufen einen noch strammeren Schritt als sonst. Durch die Kälte gestern sind wir sogar fast gerannt. Und da wir uns immer weiter auf Feldwegen ohne Steigung voranarbeiten, strecken wir die Beine viel mehr durch und das wirkt sich auf die Leiste aus. Es fühlt sich an wie eine Zerrung. Pff, wenn's weiter nichts ist... Das geht auch wieder vorbei.

 

Schritt für Schritt komme ich in Gang und die Wehwehchen lassen nach. Sira hat wieder mal Freunde gefunden. Irgendwie ist sie übermütig und beißt dem spanischen jungen Mann sanft und behutsam in den Arm. Er nimmt es gelassen. Als wir weitergehen, bin ich wieder fällig. Sie hat wohl noch nicht realisiert, an wessen Handgelenk sie hier hängt, also bekomme auch ich den zärtlichen und kaum spürbaren Mausebiss "geschenkt". Hach wie niedlich! Als sie dann aber wieder zu Sinnen kommt, kriege ich ihre spitzen Zähne wieder voll zu spüren. Na, herzlichen Dank!

 

Nach guten sieben Kilometern passieren wir einen Rastplatz mit Wasserbrunnen, an dem ein paar Pilger rasten. Ein dicker Terrier hüpft um sie herum, macht Männchen und bekommt Wursthappen zugeworfen. "Ach nee, ein Pilgerhund!", sage ich noch. Als wir näher kommen, gehen die Pilger weiter, der Terrier widmet sich Sira und bald wird ausgelassen gespielt. Ein freundliches kleines Männlein! Und als alle anderen Pilger weg sind, wird uns klar: Das ist kein Pilgerhund, das ist unser erster Herrenloser, ein Straßenhund. Kein Halsband, keine Wohnhäuser in einem Radius von sieben Kilometern und ein eitrig triefendes Auge. Aber der hier hat wohl verstanden, wie man auf sich allein gestellt am Besten überlebt: Such dir eine Pilgerraststelle und sei immer freundlich zu Mensch und Tier. Jeden Tag kommen bis zu 200 Pilger hier vorbei. Wenn nur jeder zweite einen Brocken Nahrung springen lässt, wird so ein kleiner Kerl schon satt. Wenn man dann noch süß aussieht und freundlich ist, lässt man auch schonmal ein halbes Baguette fallen. Der dicke kleine Terrierklops hat's verstanden. Und wir unseren ersten Straßenhund ÜBERstanden. Na, wenn das mit allen so einfach geht, bin ich zufrieden.

 

Nach weiteren zwei Kilometern hat wieder einmal einer verstanden, wie man Geld macht. Gute zwei Laufstunden nach dem Ausgangspunkt, weit und breit nichts anderes, wo man Essen oder Getränke kaufen kann und die einzigen Sitzgelegenheiten für Leute, die nicht einfach so in der Wiese liegend Pause machen können oder wollen. Schon von weitem riecht man den Grill und damit ist auch der letzte Boykottierer willenlos gemacht. In das Baguette für vier Euro werden lieblos zwei Mini-Würstchen gequetscht, der fingerhutgroße Kaffee kostet einen Euro und die Bananen sind so grün und unreif, dass ich die Schale noch nicht einmal abkriege. Hm, ausbaufähig, würd ich sagen... Man kann ja ruhig Geschäfte machen, aber dann muss man auch was ordentliches bieten. Ich bin nicht zufrieden. Sira allerdings sehr wohl. Die erste Frau gibt ihr ein Stück Grillwürstchen, die Nächste teilt mit ihr brüder- oder eben schwesterlich eine Banane (mein Hund hat im Leben noch keine Bananen gegessen) und sie bekommt Streicheleinheiten ohne Ende.

 

Aber auch diese Pause muss irgendwann enden und wir laufen weiter durch die Felder. Pinkeln will hier übrigens gelernt sein. Den richtigen weil uneinsehbaren Busch muss man erstmal finden, wenn es ihn denn überhaupt gibt...

 

Auf der Jagdliste meines Hundes stehen übrigens neuerdings nicht nur Katzen, Rehe, Eichhörnchen, Enten, Gänse, Hasen, Mäuse und Eidechsen, sondern neuerdings auch Vögel. Ganz gewöhnliche kleine Piepmätze, die hier täglich hundertfach um uns herumschwirren, müssen neuerdings auch immer ruckartig verfolgt werden, wenn sie sich auf einem Busch am Wegesrand oder der Straße absetzen. Hach ja, Jagen ist doch wundervoll!

 

Sira und ich haben an diesem Tag unsere ganz eigene Schlacht zu schlagen. Durch die Autobahnähnliche Strecke können wir jeden Pilger auf den nächsten vier Kilometern sehen. Für Sira natürlich ein Alptraum. Sie will die alle kriegen! Auf den anderen Wegabschnitten hatte man wenigstens mal eine Kuppe, ein Wäldchen, eine Kurve, in der man für sich war. Da konnte Sira dann für einen Moment entspannt laufen, bevor sie den nächsten Pilger gewittert oder gesehen hat und ihm nachhetzen musste. Hier ist es einfach ein durchgehendes Pilgerhetzen. Ich bin genervt, Sira ist gestresst, Papa ist hilflos, weil er mich gerne entlasten würde und nicht weiß, wie.

 

Als wir dann zur Pausenzeit in Calzadilla de los Condes einlaufen, werden wir zu allem Überfluss auch noch von drei Katzen begrüßt, die nicht im Traum daran denken, die Flucht zu ergreifen, nur weil irgend so ein dahergelaufener Pilgerhund bellt wie von der Tarantel gestochen und sich bald aufhängt an seiner eigenen Leine. Als wir uns vor die einzige Bar im Ort setzen, bin ich fix und fertig. Die dänische Buspilgertruppe, die kurz nach uns einläuft, sämtliche anderen Stühle einnimmt, auf meinen Hund trampelt und einfach nur laut schnattert, setzt dem Ganzen ein Krönchen auf. Ich bin müde!

 

Nach einer Cola und einer kurzen Regenerationsphase bin ich wieder fit genug und wir laufen weiter. Die letzten sechs Kilometer gestalten sich weitaus angenehmer als die letzten achtzehn. Gut, es geht immer an der Landstraße entlang, allerdings haben fast alle ihre Tagesetappe in Calzadilla beendet oder wollten noch weiter als wir und sind deswegen viel früher unterwegs gewesen und schon lange weg. Bis auf eine Handvoll Pilger, die man ab und an trifft, sind wir allein auf der Strecke. Außerdem hat Papa Sira übernommen, um mir wenigstens ein paar Kilometer lang eine Auszeit zu gönnen. Und es funktioniert!

 

Weitaus entspannter als zur letzten Pause erreichen wir unseren Zielpunkt Ledigos. Ich bin sogar so locker drauf, dass ich noch ein paar Kilometer gehen könnte. Bevor ich das aber laut sagen kann, hat Papa in der örtlichen Herberge eingecheckt. Wir wollen schließlich auch nicht übertreiben...

 

Mit Sira ist es das gleiche Spiel wie immer. In die Herberge dürfen wir nicht. Auch das sympathisch billige Doppelzimmer für 18 € bleibt uns verwehrt. Immerhin dürfen wir im Garten zelten, nachdem wir die Katzen verscheucht haben, die die im Garten sitzenden Pilger wohl als Nahrungsquelle zu schätzen gelernt haben. Sira ist mal wieder völlig aus dem Häuschen. Ich binde sie an den Baum, während wir das Zelt aufbauen. Bei dem Wind, der inzwischen schon wieder ganz schön beachtlich ist, ist das gar nicht so einfach. Ein anderer Pilger, der beobachtet, wie ich mich quietschend auf die wegfliegende Plane schmeiße, kommt uns zur Hilfe. Ruckzuck steht das Ding. Damit Siras Abend abwechslungsreich bleibt, kommt immer mal eine Katze bedrohlich nah und fröhlich maunzend an Sira vorbei getänzelt. Diese Mistviecher! Provokation auf ganzer Linie! Als Papa sich in sein Zimmer und Sira und ich uns ins Zelt zurückziehen, sind sie uns aber zumindest doch so gnädig, uns schlafen zu lassen und nicht noch singend um unser Zelt zu tanzen.

 

Der Wind hat wieder nachgelassen und auch die Kälte spüre ich in meinem Schlafsack nicht. Sira ist einfach nur zufrieden, weil sie sich ganz nah an mich ran, ja, sogar halb oder zumindest mit dem Kopf auf mich drauflegen darf.

 

Da können wir uns am Tag noch so sehr miteinander streiten; am Ende des Tages, wenn es kalt wird und wirklich darauf ankommt, dann rücken wir eng zusammen!

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Kommentare: 1
  • #1

    Mama Ingrid (Freitag, 31 Mai 2013 23:25)

    Oh, wie süß! Sira und Frauchen kuscheln! Aber was ist Papa denn für ein Pilgerkamerad? Läßt euch allein im Zelt und knallt sich dann oben gemütlich ins Bett???