Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Einsame, schöne Meseta

Von Hornillos del Camino bis Castrojeriz, 21 km

Zusammen mit einem deutschen Ehepaar sind Anni und ich die Ersten, die am Frühstückstisch sitzen. Das ist deutsche Pünktlichkeit! Wenn gesagt wird "Frühstück um 7 Uhr", dann sitzen wir um 7 Uhr am Tisch. Die Pilgerfreunde anderer Nationalitäten kommen erst so nach und nach. Uns soll es ja recht sein, dann sind wir auch zuerst mit dem Frühstück fertig und auch die Ersten, die wieder mit dem Kleinbus nach Hornillos und damit wieder an den Camino gebracht werden. Wir haben wirklich kaum unsere Rechnung bezahlt, mahnt der Fahrer auch schon zur Eile. Rucksäcke und Wheely werden wieder im Kofferraum verstaut, wir springen auf die Sitze und dann geht es in zügiger Fahrt gen Hornillos. Auf dem kleinen Platz vor Kirche und Bar muss ich das Wheely erst noch richtig zusammenbauen und mein Gepäck festzurren, bevor es weitergehen kann. Während dieser Zeit hat Sira eine neue Verehrerin gefunden. Eine Japanerin kommt aus der Gemeindeherberge neben der Kirche, geht freudig auf unsere Hundequeen zu, streichelt und herzt sie überschwenglich und füttert sie mit ihrem Trockenfleisch, das wohl eigentlich für sie als Notration gedacht war. Als ich mit dem Wheely fertig bin, ist Frau Mikohiko (oder so) auch mit Füttern fertig und wir verabschieden uns mit einem "Buen Camino". Wie oft wir diesen Gruß am Tag hören oder selbst aussprechen, lässt sich kaum nachhalten. Er gehört einfach zum Jakobsweg wie der Rucksack, der Pilgerstab oder der Pilgerpass. Selbst die Menschen in den Dörfern oder in den Bars rufen uns den Gruß zu und es ist immer wieder wie eine kleine Anfeuerung. Zu Hause hört man ähnliches eher nicht. Oder kann sich jemand an ein "Guten Rheinsteig" oder "Guten Eifelsteig" erinnern? Ich nicht. Von Hornillos zieht der Camino stetig hoch auf die Meseta. Meseta geht auf das spanische Wort "mesa" zurück, was so viel heißt wie Tisch, Platte oder Ebene. Kaum ein Baum wächst hier, ab und zu mal ein Busch entlang des Weges. Wozu diese dann genutzt werden, erkennt man an den Papiertaschentüchern, die man in ihrer Nähe vermehrt findet. Manche sprechen von einer eintönigen Landschaft, ich finde sie faszinierend. Zu dieser Zeit ist sie ein grünes Meer, so weit das Auge reicht. Am Horizont erheben sich vereinzelt einige Windparkanlagen, deren riesige, sich ständig drehenden Windräder Bewegung in die Szenerie bringen. Bewegung kommt in diese Landschaft auch, wenn Wolkenfelder über sie hinwegziehen, wie heute. Ein gleichmäßig blauer Himmel wäre fast langweilig, Hitze wäre für mich absolut störend. Da lobe ich mir die Wolkenberge, die vorüberjagen, den Wind, der Hitze gar nicht erst aufkommen lässt. Vielleicht muss man die Meseta bei 40°C erleben, um sie als Pilger zu verabscheuen, ich finde sie nur schön. Für mich ist das Hindurchwandern ungefähr so wie Mandalas ausmalen. Mitten in dieser Einsamkeit liegt die Herberge San Bol, die erst seit 2010 über Sanitäreinrichtungen und Strom verfügt. Jetzt liegt die kleine Herberge ruhig da, keine Menschenseele ist zu sehen. Morgens herrscht Betrieb, wenn sich die Pilger bereitmachen um weiterzuziehen. Mehrere solcher Herbergen, nur mit höherer Bettenzahl, gibt es im malerischen Dörfchen Hontanas, das in einem Bachtal liegt, welches die Hochfläche der Meseta durchschneidet. Neben der Kirche wieder die Herbergen, zwei Bars. Der Jakobsweg ist hier ein regionaler Wirtschaftsfaktor, die Infrastruktur für den Pilger stimmt. Besonders gut dran sind die Etappenorte, die in den Wanderführern als solche empfohlen werden. Hier schießen neue private Herbergen wie Pilze aus dem Boden. Das ist auch nötig, denn das Pilgeraufkommen steigt ständig an. Einen guten Verdienst haben auch die Bars am Weg, gerade auch die, die etwa in Zwei-Stunden-Abständen voneinander entfernt liegen. Hier macht man Rast, nimmt sein zweites Frühstück ein oder tankt nochmal Kraft für die letzten Kilometer bis zum Ziel. Wir machen auch Rast in Hontanas. Und wie immer, kommen wir mit anderen Pilgern ins Gespräch. Es gab Tage, da dachte ich, dass unser erzwungener Verzicht auf kommunale oder kirchliche Pilgerherbergen hier in Spanien (wegen Sira) den Kontakt zu anderen Pilgern erschweren würde. Aber dass hat sich absolut nicht bewahrheitet. Ständig werden wir angesprochen, nach unseren Erfahrungen auf dem Weg befragt, Sira wird bewundert. Kaum ein "normaler" Pilger steht oft so im Mittelpunkt des Interesses. Uns schmeichelt natürlich das Erstaunen über unsere bisher erbrachte Leistung, Sira genießt die vielen, vielen Streicheleinheiten, die sie mit größtem Wohlwollen über sich ergehen lässt. Besser kann man sich in der großen Pilgergemeinschaft gar nicht aufgehoben fühlen. Als wir in Hontanas gerade aufbrechen wollen, kommt ein Pilger der besonderen Art die Straße hinunter. Er ist höchstens 25, hat lange, blonde Haare, trägt stark verschlissene Kleidung und einen Gitarrenkoffer in der rechten Hand. Ich bekomme schon Krämpfe, wenn ich eine Plastiktüte mit gerade eingekauften Lebensmitteln mehr als eine Stunde durch die Gegend tragen muss. Und dieser Junge trägt einen Gitarrenkoffer über den Jakobsweg! Ich spreche ihn an und erfahre, dass er Tscheche und seit April vorigen Jahres von zu Hause aus unterwegs ist. In Städten packt er seine Klampfe aus und verdient sich mit seiner Musik Geld für sein weiteres Vorwärtskommen. Wenn das Geld auf diese Art und Weise nicht reicht, hält er sich mit Jobben über Wasser. Ich würde ihn gerne mal irgendwo spielen hören. Die Glocke der Kirche von Hontanas schlägt 11 Uhr, als wir uns wieder aufmachen. Dabei fällt uns ein weiteres Mal auf, dass die Glocken hier in Nordspanien jedem Eifeler Glockengießer die Fußnägel hochklappen ließen. Sie klingen nicht, sie ... schäppern! Aber vielleicht finden die Nordspanier die deutschen Glocken ebenfalls entsetzlich. Am Hang eines fruchtbaren Bachtals wandern wir weiter, mächtige Wolken begleiten uns, lange Zeit ist es aber sonnig. Es ist schön, auf dem Weg zu sein. Irgendwann wandern wir im Tal auf einer Alleestraße und sehen auf einmal die mächtigen Ruinen des ehemaligen Klosters San Antón vor uns. Es gehörte zum Orden von San Antón, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Pilger zu heilen, die an Lepra litten. Die Straße führt unter einem hoch aufstrebenden Bogen hindurch, der früher direkt durch die einstige Nordvorhalle führte. Rechts im Bogen sind zwei Einbuchtungen, durch die die früheren Pilger Essen bekamen. Wir gehen leer aus. Das ist auch besser so, denn über Castrojeriz, das nun vor uns liegt, türmen sich schwarze Wolken auf, aus denen sichtbar ergiebige Schauern niedergehen. Wir werden immer schneller, schaffen es aber nicht ganz. Einen Kilometer vor unserem Ziel knallt Hagel auf meinen Schirm, aber er hält glücklicherweise nicht lange an und der anschließende leichte Schauer reicht nicht, um uns wirklich nass zu machen. Um 13 Uhr bereits sind wir auf dem Campingplatz. Ich bekomme ein Bett in einer kleinen Blockhütte, Anni möchte unbedingt und endlich mal wieder das Zelt aufschlagen. Der zweite Aufbauversuch klappt auch schon viel besser als der erste in Puente la Reina. Dann ist Entspannung angesagt, so lange wie selten. Die Sonne scheint uns dabei auf den Pelz, so warm wie selten. Uns geht es gut!

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Dienstag, 28 Mai 2013 23:32)

    Schön, dass es euch gut geht! :-)
    Cool! Diesen jungen Gitarren-Pilger bewundere ich ungemein. Der macht doch wohl absolut sein Ding!
    Jetzt mal langsam! Ist vielleicht der Rheinsteig, der Sieghöhenweg oder der deutsche Fernwanderweg ein PILGERWEG? Also! Was brauchst du da Aufmunterung?!
    Hihi, Sira, die "Pilgerqueen"! Bessos :-D
    Buen camino y ultreia!

  • #2

    Dani (Freitag, 31 Mai 2013)

    Sehr gut Anni!!! Zelten obwohl nicht notwendig - das lob ich mir.