Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Ausgebucht!

Von Burgos nach Hornillos del Camino, 24 km

Boah, war ich gestern kaputt! Sogar so kaputt, dass ich zu faul war, mir im Bad meine Ohropax zu holen, bevor ich schlafen ging. Das Ende vom Lied war, dass ich jedes Mal wach geworden bin, wenn Sira geseufzt oder Papa sich im Bett gedreht hat oder zum Klo gegangen ist..

Entsprechend schlecht komme ich heute aus dem Bett. Dreimal stelle ich den Wecker weiter und brauche danach seeeehr lange, um mich zu organisieren und die Einkäufe zu verstauen, die ich gestern einfach nur neben und unter mein Bett gekegelt hab.

Erst um neun Uhr verlassen wir Burgos. Das Treiben ist längst nicht mehr so emsig wie gestern. Nur eine Handvoll Menschen ist unterwegs und ein paar Straßenkehrer beseitigen die Überreste der gestrigen Sause.

  Das Verlassen von Burgos gefällt mir besser, als es mir hier je bei einer der anderen Städte gefallen hat. Vielleicht liegt es daran, dass Sonntag ist, dass wir einfach eine gute Straße erwischt haben oder dass alle noch verkatert im Bett liegen wegen der großen Party, aber es ist angenehm ruhig und friedlich, als wir uns ebenso ruhig und friedlich mit wenigen anderen Pilgern stadtauswärts begeben.

Als wir auf eine Kirche zulaufen, wird die Ruhe jäh gestört. Papa will die ruhenden Störche in ihren Nestern auf dem Kirchdach ablichten, als er davor eine kleine Person in Wanderdress den Hampelmann machen sieht. Sie klatscht in die Hände und ruft dabei "uähwäh!" Als wir uns gerade darüber amüsieren, bemerkt sie uns. "Sie" ist eine Asiatin mit Safarihut samt Nackenschutzvorhang und übergroßer Brille, Marke "Puck, die Stubenfliege". Mit leichtem Silberblick, Dauergrinsen und eine Spur zu überdreht steht sie bald direkt vor uns. Und mit "eine Spur" meine ich nicht die dezente, zarte eines Rennrads, sondern eher die Spur, die ein vollbremsender LKW auf der Autobahn macht. Auch wenn es gemein klingt, ich muss es mal sagen: Sie nervt! Ab der ersten Sekunde. Zu infantil, zu stürmisch, zu distanzlos, zu laut, zu hochfrequent.

Als sie auf uns zuläuft, wirkt sie wie eine Sechsjährige, die den Eiswagen stürmt. "Howaaaaard! Take a photooooo! Me and the doooog. Me and wheeeeelyyyyy!" Alles, was man den Asiaten an Selbstkontrolle und Beherrschung nachsagt, hebt sie grundlegend aus den Angeln. Howaaaaard nimmt es gelassen. Er kennt sein Herzchen wohl und tut, wie ihm geheißen. Boa, wie der das aushält! Ich könnte das nicht. Muss ich ja auch nicht. Jeder Jeck ist eben anders. Wir verabschieden uns schnell und suchen das Weite.

Noch völlig verwirrt von dieser Begegnung biegen wir kurz darauf falsch ab. An der Bar an der gerade passierten Kreuzung stehen drei Männer, unterhalten sich lautstark und pfeifen plötzlich. Wir drehen uns etwas entrüstet herum und sie zeigen nur in eine andere Straße. Ähem... da sind wir wohl falsch abgebogen... Und die Herrschaften schicken uns wieder auf den richtigen Weg. Wir danken und wandern weiter, diesmal auf der richtigen Straße und durch eine Parkanlage. Ich bete mal wieder, dass Sira ihr großes Geschäft nicht jetzt verrichten muss, sondern erst, wenn wir wieder draußen sind in der Wildnis. Klar, zum einen, weil Kacke aufsammeln nicht zu meinen liebsten Beschäftigungen zählt, zum anderen, weil ich ein großes Problem habe: Ich habe keine Kackbeutel mehr. In Deutschland oder Frankreich ist das nicht schlimm, denn man kann seine Vorräte an jedem Mülleimer in Parks auffüllen. Hier ist das anders. Nirgends finde ich taugliche Beutel! Nicht im Park, nicht beim Tierarzt, nicht im Supermarkt. Und ich möchte nun wirklich keine durchsichtigen Butterbrotbeutel oder Einkaufstüten nehmen! Interessanterweise findet man hier aber, obwohl es nirgendwo ordentliche Beutel gibt, erstaunlich wenig Tretminen.

Meine Gebete werden natürlich, wie soll es anders sein, nicht erhört. Sira entleert sich auf einer frisch gemähten, gehegten und gepflegten Grünfläche. Ihre Hinterlassenschaft landet in einer Tüte, die gestern noch Bananen verpackte.

Sira steht heute mal wieder hoch im Kurs und verdreht den Stadt-Jungs gehörig den Kopf. Erst einem Golden Retriever-Rüden, dem die Sabberfäden zäh aus den Lefzen hängen, dann einem älteren Dackelherrn. Sie sind immer gleich so verliebt, dass alle guten Vorsätze dahin sind und sie für keine fünf Pfennig mehr auf ihre Besitzer hören. Tja, so ist das, wenn die Liebe einen völlig in den Wahnsinn treibt. Sira nimmt es, wie es kommt und spielt mit den netten Kerlen, bis sie endgültig zurück gerufen werden.

Irgendwann haben wir die Stadt endgültig verlassen und laufen durch endlose Weizenfelder. Über uns sehen wir inzwischen nicht etwa EINEN Storch, nein, es ist gleich ein ganzer Schwarm von acht Störchen, der über unseren Köpfen kreist. Vielleicht geben die Mütter ihren Jungen, die wir jetzt schon so oft im Nest gesehen haben, erste Flugstunden. Vielleicht haben sie aber auch einfach nur Spaß am gemeinsamen Ausflug.

Mein Spaß hält sich im Moment in Grenzen. Was Papa gestern hatte, habe ich heute: Es fällt mir schwer! Meine Füße tun weh, die Knie auch. Ich komme nicht in Gang. Schon nach einer guten Stunde, bei Villabilla de Burgos, pausieren wir.

Als wir nach einer halben Stunde weitergehen, bin ich schon wieder weitaus besser im Tritt. Ruckzuck erreichen wir so Rabe de las Calzadas.

  In einer Bar genehmige ich mir eine Cola und Papa sich einen frisch gepressten O-Saft. Sira dagegen gönnt sich ein Nickerchen. Als sie gerade in der absoluten Tiefschlafphase ist, steht plötzlich ein extrem freundlich wedelnder Labrador-Mix-Rüde vor ihr und will unbedingt spielen. Als sie aus dem Schlaf hochschreckt und das Ungetüm vor ihr steht, ist sie erstmal so schockiert , dass sie ihn gehörig zusammenstaucht. Danach sind sie aber beste Freunde und spielen lange und ausgiebig miteinander.

Der Barbesitzer schenkt noch jedem von uns einen kleinen Madonnen-Anhänger als Talisman für unseren Weg, und wir verabschieden uns.

Vor der Albergue des Dorfes sitzen einige bekannte Gesichter. Und alle gehen sie nicht weiter! Sie wollen die heutige Etappe hier beenden. Fast alle, mit denen wir gestern gesprochen haben, wollen entweder heute einen Ruhetag in Burgos machen oder eben nur eine Baby-Etappe bis Rabe de las Calzadas. Was ist denn los mit euch, Leute? Hat euch die große Stadt so fertig gemacht? Oder habt ihr es gestern wegen der großen Festlichkeiten oder des Fußballspiels so sehr übertrieben?

So oder so, wir gehen weiter. Unmittelbar nach dem Ort steigen wir auf die erste Höhe der Meseta auf, jener gefürchteten end- und schattenlosen Felderwüste, in der schon so mancher Pilger verzweifelt ist. Ursprünglich hatten wir mal darüber nachgedacht, dieses Teilstück nachts zu laufen und tagsüber zu schlafen. Um der erwarteten Hitze zu entfliehen und da man ja eh nichts außer Feldern verpasst. Da das Wetter uns aber gnädig ist, laufen wir nun doch tagsüber. Die Sonne scheint, aber sie brennt nicht. Außerdem weht ein nettes Lüftchen.

Und ich muss sagen, ich kann die Vorurteile über die Meseta nicht bestätigen, zumindest bis jetzt nicht. Klar, wir sehen weeeeeeiite Felder, aber mit ihrem saftigen Grün vor dem blauen Himmel, auf ihren geschwungenen Hügeln, fühlen wir uns wirklich wohl! Ich kann mich mit Stolz outen: Ich mag die Meseta!

Nach einer Stunde können wir im Tal unser Etappenziel, Hornillos del Camino, sehen. Vor und hinter uns ist kaum ein Mensch, auch mal eine relativ neue und angenehme Erfahrung. Im Ort rufen wir in unserer reservierten, 6 km entfernten Unterkunft an, damit man uns abholt. In Hornillos hatten wir mal wieder keine Chance: No perro! Während wir auf unseren Transport warten, kommen wir mal wieder mit den Leuten ins Gespräch. Und bei den Neuankömmlingen macht sich Verzweiflung breit: Alle Herbergsbetten belegt! Oje, die nächste Herberge ist sechs Kilometer entfernt! Ein paar Mädels haben noch Glück, sie können spontan mitkommen zu unserer Unterkunft, der Rest hat Pech gehabt und muss weiter. Unser Fahrer lädt inzwischen mit großer Hektik unser Gepäck ein und fährt an den Massen einströmender Pilger vorbei. Sie wissen noch nichts von ihrem Unglück. Ich habe Mitleid, aber das ist eben das Pilgerleben, wenn man kein Zelt dabei hat...

Wir fahren weitaus mehr als sechs Kilometer mit einem Neunsitzer in die Pampa. Ich komme mir vor, wie im sambischen Minibus, nur ohne sambisches Gedudel aus dem Radio, ohne lebende Hühner unterm Vordersitz, mit intakten Fensterscheiben und mit höchstens der Hälfte an Personen beladen. Na gut, eigentlich ist es damit schon wieder gar nicht mehr mit Sambia zu vergleichen.

Als wir El Molino anfahren, staunen wir nicht schlecht. Wir fahren auf das Gelände eines alten Mühlen-Anwesens. Mehrere frei laufende Hühner, Gänse, Truthähne, Enten und anderes Federvieh flattern vorbei. Man empfängt uns in einem riesigen Salon, in dem gespeist wird und führt uns nach oben, am Billardzimmer mit Grammophon vorbei in unser Gemach, das mit altem, fast antikem Mobiliar bestückt ist. Meine Herren!

Als ich abends mit Sira rausgehe, stürmt plötzlich ein riesiges Kalb von Schäfer-Pyrenäenhund-Mischling auf uns zu und stößt dabei undefinierbare Grunzlaute aus, die wohl irgendeine Mischung aus Knurren und Bellen sein sollen. Sekundenbruchteile später steht er direkt vor mir und gräbt seine Nase in meine Kniekehle. Keine wirkliche Aggressivität, aber auch keine Freundlichkeit ist zu verspüren. Mein Herz rutscht mir in die Hose und ich packe mir die nächstbeste Waffe, die ich finden kann: Eine Mistgabel. Als ich die in die Hand nehme, zieht das Monster sich zurück und lässt Sira ihre Geschäfte verrichten.

Als wir kurz darauf wieder im Zimmer sind, muss ich mich erstmal setzen.

Mir zittern die Knie!

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Dienstag, 28 Mai 2013 23:15)

    Okay, Anni kämpft mit Mistgabeln!
    Ich wusste, dich kann man losschicken, du weißt dich zu wehren :-)

  • #2

    Dani (Freitag, 31 Mai 2013 12:22)

    Also irgendwie hört sich das für mich bei euch alles nach deutlich zu viel Luxus an!