Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Platt in Burgos

Von Argés nach Burgos, 24 km

Heute Nacht ist nochmal alles gutgegangen. Die tief liegenden Balken bereiteten mir vorab schon leichte Probleme. Dass ich immer halb gebückt gehen musste und mein Kreuz dagegen protestierte, war das Eine. Meine Sorge, in der Nacht im Rahmen meines Klogangs gegen einen dieser Balken zu brettern, war das Andere. Licht wollte ich nicht machen, um Anni und Sira nicht zu wecken. Aber wie gesagt ...

Am Morgen will ich trotzdem kaum losgehen. Mich quält eine zünftige Verstopfung. Was bin ich eigentlich für ein Weichei? Erst spielt in der Nacht mein Kreislauf verrückt und jetzt das! Aber keine Panik zu Hause! Die meisten haben hier unterwegs mal mit einem Problemchen zu kämpfen, das gehört doch fast dazu. Aber wer schon mal eine Verstopfung hatte, weiß auch, wie lästig das ist. Ob er aber auch weiß, wie weh das tut, wenn man sich währenddessen den Bauchgurt von einem Wheely fest um das kränkelnde Organ binden muss? Und das über viele Stunden und viele Kilometer? - Ich will nicht los, weil ich weiß, was mich erwartet. So ist es auch: Es drückt und schmerzt, dass mir manchmal die Luft wegbleibt. Ich habe nur noch einen halben Blick für meine Umgebung und wünsche mir schon um 10 Uhr am Ziel zu sein. Ein Formtief also der schönsten Art.

Um 10 Uhr sind wir aber immerhin bei unserer ersten Raststation an der Bar von Cardeñuela de Ríopico. Bekannte Gesichter sitzen bereits draußen an den Tischen und wärmen sich ihre Hände an der heißen Tasse Kaffee, andere sitzen direkt drinnen. Wohlgemerkt: Wir sind in Spanien, Ende Mai, 10 Uhr morgens! Unser Bochumer Pilgerfreund kommt auch schweren Schrittes anmarschiert. Er fühlt sich besser, will heute unbedingt noch nach Burgos, um sich dort mit Freunden zu treffen und mit ihnen dort in irgendeiner Bar dass Champions-League-Endspiel zwischen Borussia Dortmund und Bayern München anzusehen, aber sein Körper spricht klar eine andere Sprache. Aber manchmal muss man auch unvernünftige Dinge tun. Wie heißt das magische Wort der Jakobspilger? Ultreia - Weiter geht's!

Nach heißem Kaffee und Tee sind wir gerade dabei, uns wieder auf den Weg zu machen, da findet Sira einen Freund. Und das bedeutet spielen, und spielen bedeutet toben. Sie rennen und purzeln umeinander, dass es eine Freude ist. Nur das Frauchen vom Freund, eine kleine Spanierin, wohl aus dem Dorf, bekommt immer wieder Schnappatmung, wenn Sira ihr Hündchen aushebelt und auf den Rücken wirft.

Je näher wir Burgos kommen, umso mehr wird die Landschaft eher unattraktiv. Die Frage ist: Wie kommen wir am angenehmsten in die Großstadt Burgos hinein? Der klassische Weg ist der unangenehmste. Er führt kilomerterlang durch ein Industrie- und Gewerbegebiet, dann langgezogen weiter durch die Vororte. Ist man dann im Zentrum, hat man vielleicht von dieser Stadt schon die Nase voll. Die Alternative ist glücklicherweise in meinem Wanderführer auch beschrieben und sogar sehr gut markiert. Sie führt zwar zunächst zeitweise am Zaun des Flughafens von Burgos entlang, aber solange wir dort unterwegs sind, hören und sehen wir kein einziges Flugzeug. Der weitere Weg entlang des Flusses Alanzón ist direkt als idyllisch zu bezeichnen. Erst auf Naturwegen, anschließend durch eine Art Park, bringt uns diese Wegalternative immer mehr auf nette Weise Burgos entgegen.

Trotzdem bin ich platt! Obwohl es gar nicht mehr so weit bis ins Zentrum ist, brauche ich nochmal eine Pause. Auf einer Wiese am Fluss, in der Nähe eines kleinen Strandes, lasse ich mich ins Gras fallen, nehme meinen kleinen Tagesrucksack als Kopfkissen und mache mich lang. Als ich die Augen wieder öffne, ist das Wetter mittlerweile viel schöner geworden. Nur noch vereinzelte Schäfchenwolken ziehen über einen ansonsten blauen Himmel. Ich muss tatsächlich etwas geschlafen haben.

Etwas besser auf den Beinen (aber nur etwas), strebe ich mit meiner Tochter nun der Kathedrale von Burgos entgegen, immer weiter am Fluss entlang. Gegen 16 Uhr sind wir dann endlich da! In den Straßen, auf den Plätzen und erst recht um die Kathedrale herum pulsiert das Leben. Kein Wunder, es ist Samstag und das Wetter ist endlich auch mal schön. Uns fällt auf, dass auf allen Plätzen, über die wir gehen, riesige Lautsprecheranlagen aufgebaut sind und gerade Soundchecks durchgeführt werden. Überall erklingt Musik, von Klassik bis Rock. Wie ich herausfinde, soll heute Abend hier bis in die Nacht hinein ein großes Musikevent steigen. Aber heute Abend ist doch auch das Fußballspiel ...! Und auf unserem reservierten Zimmer im Hostal gibt es bestimmt, nach unseren bisherigen Erfahrungen, einen Fernseher. Außerdem ist auch der Plan noch nicht vom Tisch, mich mit dem Bochumer in einer Bar zu treffen, um dort das Spiel anzusehen, mit Kneipenatmosphäre also. Aber mir geht es immer noch nicht gut, verdammt!

Ein weiterer Punkt stört uns: Unser Hostal, auf der anderen Seite des Flusses, aber trotzdem noch zentral gelegen, ist erst ab 19 Uhr für uns geöffnet. Der Betreiber ist noch mit einer Familienfeier befasst und erst um diese Zeit zurück. Blöd, müssen wir unser Gepäck eben die ganze Zeit mit uns herumschleppen!

Die Kathedrale ist gewaltig. Auf mich wirkt sie durch ihre verschiedenen Elemente aber auch irgendwie verspielt. Durch ihre Helligkeit, von der Sonne angestrahlt, im Kontrast mit dem dunkelblauen Himmel, macht sie einen tiefen Eindruck auf mich. Als dann auch noch aus den Lautsprechern auf dem großen Platz vor ihr der "Gefangenenchor" aus der Oper Nabucco ertönt, habe ich einen dicken Kloß im Hals.

Anni hat die gute Idee, in der Touri-Info nachzufragen, ob wir für die Zeit unserer Kathedralen-Besichtigung unser Gepäck dort lagern können. Gesagt, getan. Der jungen Dame hinter dem Schalter versuche ich also klarzumachen, dass es "with our Wheely" etwas problematisch ist, sich in und um die Kathedrale herum zu bewegen und frage, ob wir ihn und Annis Rucksack für vielleicht zwei Stunden hierlassen könnten. Dabei zeige ich nach draußen, wo Anni und Sira hinter meinem Gepäcktransporter stehen und auf mich warten. Señora blickt hinüber und mich dann fassungslos an. Sie könne meine Probleme zwar verstehen, aber schließlich seien sie keine "dogsitter". Hää??? Wat is?
Schließlich dämmert es mir. Als ich den "Wheely" erwähne, denkt die Touri-Dame, Sira sei damit gemeint. Als wenn wir das Tier hier für zwei Stunden parken würden! Als ich den Irrtum aufkläre, kann sie uns aber trotzdem nicht helfen, empfiehlt uns aber die Schließfächer am Busbahnhof. Jau, und da passt diese ganze Karre rein ...! Schwachsinn! Angesäuert verlasse ich den Laden.

Beim Ticketschalter der Kathedrale ist dann alles wirklich kein Problem. Wheely darf ich in einem toten Winkel parken, die Rucksäcke kommen in Schließfächer. Zack, geht doch!

Die Innenbesichtigung müssen wir wieder getrennt vornehmen, wegen Sira. Aber das kennen wir ja schon. Während der eine durch das riesige Gotteshaus streift, sitzt der andere draußen in der Sonne, passt auf Sira auf und hört sich dabei den Singsang einer Bettlerin an, die jeden Vorbeikommenden auf den Treppenstufen der Kathedrale, wie im Mittelalter, um ein Almosen bittet.

Um kurz nach 19 Uhr sind wir endlich auf unserem Hostal-Zimmer. Mein einziger Gedanke ist - das Bett. Während Anni nochmal rausgeht, um ein paar Lebensmittel zu kaufen, knacke ich weg und werde erst wieder wach, als sie u.a. mit zwei Pizzas wieder zurückkommt. "Herzlichen Glückwunsch, Papa, zum 100. Wandertag! Das Festessen!" Meine Tochter! Ich bin begeistert!

Im Fernsehen vor uns läuft das Fußballspiel und wir verspeisen dabei die leckersten Pizzas der letzten Monate. Wer das Spiel gewinnt, ist eigentlich egal.

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Dienstag, 28 Mai 2013 23:01)

    WER DAS SPIEL GEWINNT, IST EGAL??? Das sagst du als alter Ruhrpottler? Tztztz!!!
    Eigentlich ist Verstopfung doch besser als die Sch..., oder? Ich meine, wenn man sichs aussuchen könnte.
    Die Kathedrale von Burgos! Eieiei, da waren wir doch schonmal, so vor 40 Jahren. Erinnerst du dich etwa nicht? Davon müssten noch Fotos existieren, aber damals gabs kein Nabucco.
    Bei uns war heute SOMMER, aber nur heute, sagt der Wetterbericht! :-(

  • #2

    Dani (Mittwoch, 29 Mai 2013 09:38)

    Glückwünsche nachträglich zum 100sten. Verstopfung? Dagegen gibt es doch diverse pflanzliche wie auch chemische mittel. Aber richtig so Vatter: zum pilgern gehört eben auch Leiden.