Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Um ein Zelt reicher

Rollläden! Mein Zimmerchen, in dem ich letzte Nacht residiert habe, hat tatsächlich Rollläden! Das fühlt sich ja an wie zu Hause! Ich nutze die Gunst der Stunde und schlafe hermetisch abgeriegelt. Als ich heute morgen meine Gruft lüften will, bin ich not amused: Auf den Straßen stehen dicke Pfützen. Es hat geregnet. Und die Wolkendecke am Himmel lässt auch keine große Hoffnung für den Rest des Tages aufkommen. Wir schwingen uns also in Regenhüllen und -jacken und reihen uns in den Pilgerstrom ein, den ich schon bei meinem Gassigang mit Sira um halb Sieben bewundert hab.

All die, die gestern im Laufe des Nachmittags hier eingetroffen sind, teilweise humpelnd, müde, kaputt oder mit schmerzverzerrten Gesichtern, beißen einen weiteren Tag die Zähne zusammen, teilweise immer noch humpelnd und mit schmerzverzerrten Gesichtern. Davor zieh ich meinen Hut. Und ich danke Gott, dass mein Gesicht nach drei/vier Wochen endlich nicht mehr vom Schmerz gezeichnet war.

Der heutige Pfad wirkt sehr konstruiert. Ich habe das Gefühl, der Weg wurde extra angeschüttet und jeder Ast und jeder Bach so gelegt, wie er liegen soll. Hier ein Brückchen, da ein Trittstein, damit den Pilgermassen nicht langweilig wird. Nicht, dass man mich falsch versteht; der Weg ist schön und gut begehbar, aber er fühlt sich anders an unter den Füßen als die einsamen und ursprünglichen Wege, die wir ab und an vor St.-Jean unter den Füßen hatten.

Nach einer Weile setzt Nieselregen ein. Immer wieder geht mir einer meiner wenigen spanischen Sätze durch den Kopf, der mir von unserem Familienurlaub in Figueres hängen geblieben ist: "Donde esta el sol?"

Tja, und wer hätte das gedacht? Selbst bei so einem Wetter denke ich viel an unser Zelt. Besser gesagt, wir alle denken daran. Wird es seinen finalen Platz in der Hauptpost von Pamplona erreicht haben, wenn wir es dort am Nachmittag abholen wollen? Was ist, wenn nicht. Die Online-Sendungsverfolgung verheißt nichts Gutes. Seit zwei Tagen steht dort unverändert: "Die Sendung wurde fehlgeleitet." Wir vermuten unser armes Zelt schon irgendwo im Bermudadreieck des Postnetzes und zermartern uns das Hirn, um einen Weg zu finden, das Ganze irgendwie anders zu regeln. Wir beschließen, erst einmal abzuwarten und bei Ankunft einfach auf gut Glück zur Post zu gehen, in der Hoffnung, unser Paket doch noch in Empfang nehmen zu dürfen.

In Irotz ist es Zeit für eine Pause. Ich entdecke einen kleinen Unterstand. Papa und Veronika entdecken ein Cafe. Unsere Wege trennen sich, denn die zwei Katzen unter den Cafe-Tischen sprechen nicht für eine erholsame Pause für Sira und mich. Und alle anderen Gäste. Sira passt diese kurze Trennung gar nicht. Sie heult und fiept Papa nach und macht so richtig die Molly! Nicht zu fassen, wie kalt es heute ist! Gestern noch geschwitzt in Top und Shorts, heute wird noch mit Fleece, Stulpen, langer Hose und heißem Kakao gebibbert!

Bald löst Veronika mich beim Sirasitten ab, damit ich mich noch schnell hinter Papa in die Kloschlange einreihen kann. Da es nur eine Toilette gibt, stehen wir relativ lange davor. Papa entdeckt einen Tisch mit Zeitungen. Das käme bestimmt super an, wenn er jetzt mit Zeitung unterm Arm, freundlich grinsend und winkend im Klo verschwinden würde. Am Ende tut er es aber doch nicht.

Als ich dann auch endlich von der Toilette komme, höre ich auch schon von Weitem Siras Gebell. Der Grund ist schnell erkannt: Eine Katze, mit beachtlichem Buckel, trotzdem aber mitten auf der Straße. Ich scheuche sie weg und sehe im gleichen Moment Veronika auf dem Boden, knallrot im Gesicht, und Papa davor, der sich kaputtlacht, mit der Kamera in der Hand. Sira hat Veronika mit ihrer Katzenhatz wohl überrascht und sie von ihrer Sitzgelegenheit gerissen. Glück im Unglück. Da hätte sie sich ganz schön wehtun können. Hat sie aber scheinbar nicht. Sie lacht ja noch...

Bald kommen wir, wie Papa immer so schön sagt, zu einer bösen Schikane. Wo der Pfad doch in den letzten Stunden so bilderbuchmäßig zu laufen war, müssen wir nun durch Schlamm, der auch noch abschüssig ist. Immer wieder rutsche ich weg. Sehnsüchtig schauen wir immer wieder fünf Meter abwärts, wo der nette Asphaltweg verläuft. Einen Kilometer später führt unser Weg uns endlich auf genau diesen. Na toll!

Bald begegnet uns ein Paar, dass ich mal wieder nur bewundern kann. Sie sind Mitte Fünfzig und sehen aus, als wären sie polnische Bauern aus der tiefsten Pampa ohne Strom und Wasser. Sie sieht aus wie Mama Flodder. Derbes Gesicht, gedrungene Statur, eine Spur ungepflegt. Er sticht gar nicht so heraus. Sie sind kein polnisches Ehepaar, sie sind Spanier. Für sie hat der Weg keine sportliche Motivation. Kultur ist dabei auch eher nebensächlich, genauso wie der Austausch mit anderen. Es geht um eine reine, ehrliche und tiefe Glaubensfrage. Sie sind nicht modisch von Outdoorläden mit ultraleichter Ausrüstung ausgestattet worden. Sie laufen in ausgelatschten Turnschuhen und einem schlecht sitzenden Poncho, der bei einem Windstoß in der Pause allen das Essen vom Teller fegt. Sie wirken so überzeugt von ihrer Sache, dass man denkt, sie ertrügen die Schmerzen, die sie bei jedem einzelnen langsamen Schritt offensichtlich haben, mit Überzeugung. DAS ist Pilgern!

Im Handumdrehen haben wir die Vororte erreicht und ebenso die große Stiertreiber-Stadt selbst. Wir schmeißen Gepäck, Sira und Veronika in unserer "Casa Otano" ab und rennen gleich zur Post. Sekt oder Selters! Ist unser Zelt da? Was, wenn nicht?!?

Die Frau am Schalter wuchtet unsere Kiste auf die Theke, gepaart mit der ungläubigen Frage, ob wir das alles auf den Camino mitnehmen wollen? Wir nicken stumm. Als wir überglücklich unsere Zeltausrüstung im Zimmer abgestellt haben, begeben wir uns noch auf eine Sightseeing-Tour.

Wir besuchen die Kathedrale und das Kloster von Pamplona. Ich bin fast ein bisschen abgestoßen von der merkwürdig futuristisch aufgemachten Darstellung des Klosters. Ich fühle mich wie auf einen Vernissage. Von Besinnlichkeit keine Spur. Bald verlassen wir die Einrichtung.

Wir wandeln auf den Straßen Pamplonas, die berühmt sind für ihre Stierläufe zum großen Fest San Fermin. In den Böden sind die Vorrichtungen für die Gitterabsperrungen zu erkennen. An den Hauswänden hängen Fotos des Spektakels.

Plötzlich strömt mir ein hypnotischer Duft in die Nase; Backwaren! Wir betreten das urige kleine und etwas knüsterige Lädchen, das dafür verantwortlich ist. Hier türmen sich selbst gebackene Kekse, Muffins, Gewürzkuchen und Schokocroissants. Herrlich! Ich kaufe eine gemischte randvolle Box und verlasse glücklich den Laden.

Als Papa und Veronika abends Tapas Essen gehen, versuche ich, mit dem vorhandenen W-lan Fotos für Euch herunterzuladen. Fehlanzeige! Auch nach Stunden.

  Während ich gerade über dieser Aufgabe zerbreche, kommt mir die Box wieder in den Sinn. Ich gehe zum Bett, öffne die Pappschachtel und nehme einen kräftigen Atemzug. Riecht DAS gut! Ich nehme einen der Kekse aus der Tasche, beiße ein Stück ab und lasse es im Mund zergehen. Wenigstens darauf man sich verlassen!

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Freitag, 17 Mai 2013 23:35)

    Hi, meine Maus,
    hier regnet es auch,und es ist schweinekalt! Die Eisheiligen sind eigentlich vorbei, Aber man hat den Eindruck, sie kommen gerade. Ey, das ist echt kein Mai!
    Na ja, Papa war immer schon der geborene Gentleman!
    JAAA, Kekse! Wenn nichts mehr geht, Kekse gehen immer! ;-)
    Was hast du für Problem? Wir sehen doch Fotos hier.
    El sol siempre este en el ciel :-)

  • #2

    Dani (Dienstag, 21 Mai 2013 06:57)

    Anni, alte Naschkatze. Aber wer jetzt hosengrösse 36 trägt, der darf auch mal wieder ordentlich zulangen.