Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: In St.-Jean-pied-de-Port

Von Larceveau nach St.-Jean-pied-de-Port, 17 km

Von St.-Jean-pied-de-Port nach Valcarlos, 17 km

Unser 2-Sterne-Hotel in Larceveau ist nochmal richtig in Ordnung. Sauber, schöne Betten, heiße Dusche, Hund problemlos auf dem Zimmer, Preis absolut angemessen, Menschen freundlich - so ist es recht! Und sogar mit kleinem Balkon, wo wir uns am Morgen auf unserem kleinen Kocher den Porridge und Kaffee kochen. Dann heißt es wieder: Packen! Da hat sich am Routine-Ablauf ja inzwischen was geändert. Bisher kannten wir drei Möglichkeiten: 1. Wir können mit Sack und Pack aufs Zimmer, einschließlich der schmutzigen Schuhe. 2. Wir müssen die schmutzigen Schuhe draußen oder im Flur ausziehen. 3. Zusätzlich zu den Schuhen muss sogar der Rucksack außerhalb des Zimmers bleiben, um das Einschleppen von Bettwanzen zu vermeiden. Mit Beginn der Wheely-Zeit ist klar, dass mein Pilgermoped nicht mit aufs Zimmer kann. Folglich: Ich muss draußen alle meine für die Nacht notwendigen Habseligkeiten dem Wheely entnehmen und für das Gefährt bis zum nächsten Morgen eine Unterstellmöglichkeit finden, sei es eine Garage, ein Schuppen oder irgendein sicherer Verschlag. Heute hole ich meinen mittlerweile liebgewordenen Begleiter aus einer wenig aufgeräumten Garage, wo er zwischen Kartons voll Weingläsern und Esstellern, leeren Bierfässern und kaputten Barhockern die Nacht verbracht hat.

Mit einem etwas komischen Gefühl machen wir uns an unsere letzte Etappe auf der Via Podiensis. Zum einen sind wir noch nicht ganz sicher, ob sich unser Übernachtungsproblem für St.-Jean-Pied-de-Port wirklich sicher gelöst hat. Hat der Betreiber des Campingplatzes in La Madelaine, zwei Kilometer vor St.-Jean mich am Telefon wirklich richtig verstanden? Habe ich ihn richtig verstanden und es ist wirklich ein Mobil-Home frei und Sira dort akzeptiert? Aber das ist nur das komische Gefühl in pragmatischer Hinsicht. Ein anderes Gefühl bewegt mich mehr: Mit dem Ende der Via Podiensis haben wir tatsächlich die Pyrenäen erreicht. Mächtig erheben sie sich vor uns. Heute überschreiten wir unsere 2000-Kilometer-Marke. Was für eine Strecke! Fast genau drei Monate sind wir auf den Beinen, jeden Tag, immer weiter, immer weiter. Kein Tag Pause, selten mal unter 20 Kilometer am Tag, manchmal sogar 30 und mehr. Trotzdem nie der Gedanke ans Aufhören. Getragen und beflügelt von den guten Wünschen von Menschen, die wir unterwegs treffen und besonders von den regelrechten Anfeuerungen, die wir über den Blog erfahren.

Diese letzte Etappe vor unserem nächsten großen Teilziel bewegt sich immer in relativer Nähe zur viel befahrenen Nationalstraße, sie schlägt keine großen Haken mehr, will anscheinend selbst jetzt endlich ankommen. Aber es ist ein schöner Weg, Wheely-freundlich über kleine Straßen, trotzdem abwechslungsreich durch eine liebliche Vorgebirgslandschaft, ein welliges Auf und Ab, vorbei an saftigen Weiden, anscheinend glücklichen Kühen, Schafen, Ziegen und Pferden mit ihren jeweiligen putzigen Kinderstuben und durch kleine Dörfer, wo wir oft vor lauter Kuh- und Schafscheiße auf der Straße nicht mehr den Asphalt erkennen. Dies alles, das freundliche Wetter und der Blick auf die Berge verursachen bei mir eine schon fast euphorische Stimmung, meine Füße tragen mich von alleine. Aber ich glaube, anderen Pilgern geht es ähnlich. Strammen Schrittes, teilweise mit energischem Stockeinsatz marschieren sie voran. Manche, die uns überholen oder von uns überholt werden, haben ein Lächeln im Gesicht, obwohl einige von ihnen schwere Rucksäcke tragen oder offensichtlich humpeln, weil sie Blasen haben. Aber sie wissen, dass sie es bald geschafft haben, sei es jetzt nach 200, 700 oder 2000 Kilometern. Für viele ist es heute das Ende einer langen Pilgerreise. Irgendwann, vielleicht im nächsten Jahr, ziehen sie weiter in Richtung Santiago. Dann beginnen bei manchen die Schmerzen neu, muss man sich wieder durchbeißen, bis "es läuft". Für einige aber, wie für uns, ist St. Jean "nur" ein Zwischenziel. Schon morgen wird es weitergehen, hinein in die Pyrenäen.

Bei der heutigen Strecke von nur 16 Kilometern nehmen wir uns auch nur eine Pause, und die an einem interessanten Plätzchen: "Pause de Compostelle". Hierbei handelt es sich nicht um ein Cafe oder eine Bar oder einen Picknickplatz mit Honor-Box. Hier hat ein junger Mann eine gute Geschäftsidee. Nach ziemlich genau zwei Stunden Wanderzeit seit dem letzten Übernachtungsort hat er seinen Mini-Van am Rand des Weges positioniert. Schon auf den letzten sechs Kilometern weisen Info-Schilder auf diese Örtlichkeit hin. Im Van gibt es Kühlfächer für Kaltgetränke, einen Heißwasserkocher für die Zubereitung von Kaffee oder Tee und eine Vorrichtung für Hot-Dogs. Außerdem, und das ist der Knaller, gibt es im Van Sitzflächen für die bereitstehenden Fußbäder sowie vier Schuhtrocknungsgeräte. Alles wird betrieben durch einen hörbaren, aber nicht nervenden Stromaggregaten. Neben dem Van ist ein großer Pavillon aufgebaut, darunter diverse Tische und Stapelstühle. Auf der anderen Seite des Weges nochmal Tische und Stühle, nur diesmal unter rot-weißen Sonnenschirmen. Auf einem extra Auslagetisch sind Süßigkeiten, Obst, Eier, Pflaster und Salben im Angebot. Alles, was es hier gibt, ist nicht billig, aber in einem Rahmen, der manchen Pilger hier gerne rasten lässt. Wenn die Sonne mal zu heiß brennen sollte, bieten zwei Kastanien sogar noch zusätzlich Schatten. Während wir etwas zu uns nehmen, arbeitet es schwer bei Anni im Gehirn. Sie spinnt doch schon seit einiger Zeit davon, bei uns am Siegsteig etwas Ähnliches einzurichten. Hier bekommt sie gezeigt, wie man es machen könnte. Nur ist der Siegsteig (noch) nicht der Jakobsweg.

Eineinhalb Stunden später stehen wir auf dem kleinen Campingplatz von La Madelaine, einem kleinen Ort zwei Kilometer vor St.-Jean-Pied-de-Port. In der Mitte steht ein renovierungsbedürftiges Gebäude mit den Sanitäreinrichtungen. Auf der Wiese verliert sich ein Wohnmobil und ein alter Wohnwagen mit noch älterem Vorzelt. Am Rand stehen drei Mobil-Homes unterschiedlichen Jahrgangs. Eine Rezeption gibt es nicht, aber nach einem Anruf kommt der nahebei wohnende Proprieteur mit seinem Wagen angefahren - und schaut erstaunt auf unseren Hund. Jetzt geht das wieder los! Und richtig: Eigentlich war das neue Mobil-Home für uns gedacht, aber mit Hund geht es nur in dem alten Wohnwagen , wo der Hund ja schließlich im Vorzelt schlafen könne. Wir haben keine Wahl und willigen ein. Aber Anni und ich sind uns einig, in der Nacht kommt Sira rein!

Gestern ist Veronika in St.-Jean angkommen, um uns wieder ein paar Tage zu begleiten. Jetzt wartet sie auf uns, dass wir sie dort abholen. Wir deponieren schnell unsere Sachen im stark muffig riechenden und etwas klebrig wirkenden Wohnwagen und machen uns nochmal auf den Weg.

Wir treffen uns schließlich bei den Amis de Pelerins in der Altstadt von St. Jean. Ich lasse Anni und mir gerade neue Pilgerpässe ausstellen, als Veronika mir von hinten um den Hals fällt. Sie zeigt uns ihre Pilgerherberge in der Rue de La Citadelle von letzter Nacht, ich kaufe mir beim Pilger-Ausrüster gegenüber einen neuen Hut und Veronika lädt uns zum Eis ein. Zeit für Muße bleibt aber nicht viel. Wir müssen noch einkaufen (bei LIDL!) und zur Touri-Info, um uns dort noch eine Unterkunft für kurz vor Pamplona reservieren zu lassen. Dann nochmal zurück zu Veronikas Herberge. Außer ihrem Rucksack steht hier noch ein Koffer, mit dem sie sich von zu Hause abgeschleppt hat, mit Sachen, die nur für Anni und mich bestimmt sind.

Erst am frühen Abend sind wir wieder zurück auf dem Campingplatz. Veronika trägt unsere heutige Unterkunft mit Fassung und wir versuchen, es uns so gut wie es geht gemütlich zu machen.

Und dann wird der Koffer aufgemacht. Unsere neuen Wanderschuhe. Unsere alten Treter haben uns 2000 Kilometer treu gedient, die nächsten 1000 würden sie nicht mehr schaffen. Hoffen wir, dass uns die uneingelaufenen Neuen keinen Kummer machen. Für Anni ist noch eine neue Hose im Koffer und die ein oder andere Kleinigkeit. Sobald der Koffer leer ist, landen in ihm Sachen, die wir nicht mehr brauchen, unter anderem natürlich die alten Schuhe, die zu Hause einen Ehrenplatz bekommen werden. Sogar Siras Rucksack, ihr Markenzeichen auf dem Jakobsweg, kommt hinein. In Spanien könnte er sie zu sehr belasten. Ihre Sachen kommen dann eben auch noch zu mir in den Wheely. Neu sortiert begeben wir uns in die letzte Nacht auf französischem Boden und durchstehen sie standhaft, aber frierend in Ermangelung ausreichender Decken und nicht funktionierender Heizung. Gelobt sei, was hart macht!

Der heutige Tag ist schnell zusammengefasst. Mit Koffer ziehen wir wieder in St.-Jean ein und geben ihn zur Aufbewahrung für sechs Wochen im Pilgerbüro ab. Auf unserer Rückreise mit Sebastian müssen wir also auch hier nochmal kurz Station machen. Welch eine logistische Leistung! Wenn jetzt auch noch unsere Zeltausrüstung pünktlich in Pamplona zur Abholung bereitliegt, bin ich sehr zufrieden.

Die Wolken hängen tief über den Pyrenäen. Ich befürchte eine neue Regenschlacht, als wir bei Regen losziehen auf den Camino Frances, auf das letzten große Teilstück unserer Pilgerreise, auf DEN Jakobsweg an sich. Über die Höhen, die Route Napoleon können wir nicht. Die Unterkunftsfrage hat uns schon im Vorfeld einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mit Wheely wäre es sowieso, bei dem bekannt und gefürchteten steilen Aufstieg problematisch, wenn auch nicht unlösbar geworden. Ein Tag mit weiten Ausblicken ist bei dem Wetter erst recht nicht zu erwarten - also was solls! Wir nehmen die Alternativstrecke, die immer nahe bei der Passstraße bergauf führt und erreichen nach 14 Kilometern das Bergdorf Valcarlos. In einer Casa rural finden wir Quartier und ein gemütliches Appartement, das keine Wünsche offen lässt.

Übrigens: Wir sind in Spanien!!!

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Kommentare: 3
  • #1

    Mama Ingrid (Montag, 13 Mai 2013 23:37)

    Feuer! Feuer! Feuer! Ich feuere euch ja wohl an, was das Zeug hält (dabei hab ich hier meinen kleinen persönlichen Camino, ich sags euch!
    Hübsche Blumen! Sind die zum Muttertag für mich, Anni?
    BETTWANZEN?!?!?! Igittigitt!!!
    Tja, Anni, "Pause de Siegsteig"???
    Nenene, Reinhard, das Wheely kannst du nicht als Ausrede benutzen, da hat Fritz ganz andere Sachen von berichtet (wir sind ja alle auf dem Laufenden:-)
    Ohohoh, neue Schuhe! Ob das gut geht? Hihi, und die Hose ist Anni bestimmt zu groß.
    Wie? Sira ohne Rucksack? Sie läuft bestimmt befreiter, aber irgendwie hatte das was - der Hund als richtiger Pilger.
    2000 km!!! 88 Wandertage hintereinander, ohne Schwächeln, ohne Ausfall!!! Darauf könnt ihr stolz sein, richtig stolz, alle Drei, und wir sind es auch!
    Jetzt weiß ich auch, dass ihr euch bis zum Ende durchbeißen werdet! Trotz neuer Schuhe!
    LG auch von Yannik, der räumt sein Zimmer gerade mal wieder um.
    Buon camino y buenas noches en la casa rural,
    bessos

  • #2

    Mama Ingrid (Montag, 13 Mai 2013 23:54)

    Buen camino, seguro!

  • #3

    Dani (Mittwoch, 15 Mai 2013 17:57)

    Wahnsinn!!!! Wir sind echt sehr stolz auf euch.