Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Jakobus mal wieder!

Von Bellevue nach Larceveau, 25 km

Endlich mal wieder ein guter Tag! Sira hat die ganze Nacht friedlich und vorbildlich vor unserer angelehnten Zimmertür geschlafen. Der Hausherr ist mehrfach um sie herum gelaufen, da sie quasi in seinem Vorratsraum gelegen hat. Er war beeindruckt, wie lieb sie ist. Ich auch!

Wie immer laufen wir, nach kurzem Fototermin bei unseren französischen Mitbewohnern, gegen acht Uhr los. Heute gefällt mir das Wetter weitaus besser als gestern. Es regnet nicht, kalt ist es auch nicht und, wie Papa so schön zu sagen pflegt, es ist Zeichnung im Himmel. Es ist also ausbaufähig!

  Auf den Straßen hat der gestrige Regen ein Schlachtfeld hinterlassen. Plattgefahrene Regenwürmer und Kröten in Mengen. Und das Ekligste daran ist, dass die alle so überdimensional groß sind. Papa ist mein Zeuge, ich übertreibe nicht, wenn ich von zweifaustgroßen Kröten und fingerdicken, 50 cm langen Würmern rede. Kein Wunder, dass an den Teichen und Tümpeln immer die Hölle los ist bei solchen Resonanzkörpern! Und diese schlangenartigen Regenwürmer haben wir gestern sogar noch dutzendfach live gesehen. Bua! Papa wollte gerade ein Foto mit Sira daneben machen, zum Größenvergleich, aber dann stubst der doofe Hund das Vieh an und es macht sich ganz klein. Bua! Dann war das gleich noch dicker!!! Kurz darauf kommt ein Auto angefahren. Ich bin unschlüssig. Ich rette jedes Tier vorm sicheren Tod, wenn ich kann, aber anfassen kann ich das Monster doch nicht. Papa schindet Zeit, stellt sich vor mich und das Auto weicht aus und fährt weiter. Um den Wurm dauerhaft zu retten, will ich ihn an den Straßenrand befördern. Mit der Hand? Nä! Jedes normale Würmchen ja, aber diese halbe Schlange? Im Leben nicht! Mein Wanderstock wird zum Werkzeug, der Wurm landet im sicheren Grün und wir laufen weiter.

Die Würmer und Kröten, denen wir heute begegnen, hatten keinen Lebensretter. Ich wundere mich nur, dass das so viele Riesen sind. Sind wir hier irgendwie in einem verstrahlten Gebiet, wo alles mutiert? Dann mal schnell weiter!

Wir durchlaufen die Dörfer Aroue, Etcharry und Olhaiby. Die Nähe zu den Pyrenäen macht sich langsam deutlich bemerkbar. Hügelig geht es auf und ab und Papa muss ganz schön strampeln in seinem Gefährt.

  Bald sehen wir die ersten Kämme der Pyrenäen sogar wieder. Gestern hielten sie sich fast den ganzen Tag vor uns verborgen. Und siehe da! Heute sind sie grün statt weiß. Der Schnee ist geschmolzen. Jetzt sehen wir, soweit das Auge reicht, saftig grüne Hügel, auf denen einträchtig Schafe und Kühe mit Glocken um den Hals grasen. Insgesamt wirkt hier alles irgendwie voralpenländlich. Die einsamen Bauernhäuser, die hier stehen, sind allesamt blitzeweiß mit roten Dächern und roten Fensterläden, Treppengeländern etc. Erst nach einer ganzen Weile fällt Papa auf, dass die Flagge der Basken, in deren Region wir uns hier befinden, in den Farben rot, weiß und grün gehalten ist. Vielleicht zeigen damit die Menschen, die in diesen Häusern wohnen, dass sie stolze Basken sind.

Sira hat für sich ihre ganz eigenen Vorzüge dieser Tagesetappe entdeckt. Einen Großteil des Tages laufen wir über Wege, über die wohl vor kurzem Schafsherden getrieben wurden. Alles ist voll mit Kacke! Sira ist im siebten Honighimmel und beißt immer wieder herzhaft in die Hinterlassenschaften. Genüsslich kauend zieht sie dann weiter zum nächsten. Bah! Mir gibt die heute kein Küsschen mehr. Wie gut, dass wir letzte Woche noch entwurmt haben!

  Nach einiger Zeit des Marschierens auf (zumindest für mich und Sira) erfreulich wenig asphaltierten Straßen machen wir in Larribar-Sorhapuru an einem Picknicktisch Rast. Sofort kommt von einem benachbarten Haus eine junge, schwarzbraune große Hündin auf uns zugerannt. Ihre Körperhaltung sagt: " Ich will spielen!" Ihre Farbe sagt Sira und mir: "Ich bin der Feind!" Ich weiß, das ist blöd, aber es ist nunmal so! Sira beobachtet ihr Gegenüber mit Vorsicht, das Gegenüber ignoriert alle Warnzeichen von Sira und will immer wieder spielen. In einem Moment des Übermuts springt der Junghund auf Sira zu und hapst einmal in Richtung Siras Gesicht. Sira ist überrascht, quiekt und von da an ist alles vorbei. Feind ist Feind und braucht auch nicht näher zu kommen. Sira bellt, knurrt und fletscht fürchterlich die Zähne, sobald das trampelige Ungetüm sich nähert. Bald sind der Unbekannten die vorsichtigen Annäherungsversuche zu blöde und Sira ist vergessen. Sie hat eine neue Beschäftigung gefunden: Der Postbote ist da! Von jetzt an rennt das ungestüme Junghuhn dem Postauto hinterher. Wenn der Beamte an einem Haus aussteigt, rennt sie freudig um ihn herum, bis er wieder einsteigt. Man muss dazu sagen, dass die Häuser hier drei- bis vierhundert Meter auseinander liegen. Da legt sie schon einige gute Sprints hin!

  Für uns geht es weiter nach Uhart-Mixe, von wo aus wir wieder zwischen Kühen und Schafen hindurch zum Pyrenäen-Blick geführt werden. Es ist nicht zu glauben! Wir haben es tatsächlich zu Fuß bis in die Pyrenäen geschafft!

In Ostabat-Asme, wo drei Jakobswege (Via Podiensis, Via Lemovicensis und Via Turoniensis) schon seit dem Mittelalter zusammentreffen, machen wir unsere zweite Rast. Im Mittelalter konnten hier mehrere tausend Pilger beherbergt werden. Wo das denn?!? Hier stehen höchstens fünfzig Häuser! Naja, da hatte man es auch in kalten Nächten kuschelig.

Wir rasten, ganz passend, in einer Notunterkunft für Pilger. Zwei Stühle stehen hier und zwei Holzpritschen. Pappen stehen an der Wand, vielleicht für den dritten Pilger in Not. Zwischen den Brettern an der Wand sind handbreite Lücken, nur ein geringfügiger Sicht- und Kälteschutz. Ich erwische mich bei dem Gedanken: "Vielleicht bin ich morgen in St Jean froh um einen solchen Unterschlupf", denn in der Hinsicht sind wir nicht weitergekommen bisher.

  Bis zu unserem heutigen sicheren und warmen Bettchen im Hotel d'Espellet in Larceveau ist es nur noch ein Katzensprung. Man empfängt uns. Heute ist es mit dem Hund endlich mal wieder überhaupt kein Problem. Wir frönen genüsslich dem W-lan, ich koche ein köstliches Hühnernudelsüppchen für uns drei (Futter für Sira gibt's erst morgen in der großen Stadt) mit unserem Kocher auf dem Balkon und habe dann eine Eingabe: Wir haben doch Internet, also schaue ich einfach mal auf die Internetseite von Fritz, dem schwäbischen Hospitalero, der Papa den Wheely geliehen hat. Fritz hat seine Pilgerschaften auf seiner Homepage in allen Einzelheiten beschrieben, mit selbst ergänzten Google-Karten. Und Tadaaaaaa! Ich entdecke einen Campingplatz drei Kilometer vor St. Jean, der Mobile-Homes vermietet. Papa fackelt nicht lange, ruft an und reserviert einen. Nicht zu fassen! So einfach kann es gehen. Es stimmt schon, was die Leute sagen: "Auf dem Jakobsweg geht irgendwo immer ein Türchen auf!"

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Kommentare: 4
  • #1

    Mama Ingrid (Freitag, 10 Mai 2013 22:50)

    Zuerst mal nur: Mann, wart ihr fleißig!!! Alle Achtung!!!
    Jetzt muss ich erstmal die "älteren" Einträge lesen, damit alles schön chronologisch ist.
    Also nix mehr mit "übermorgen erzähle ich von vorgestern" und so. ;-)

  • #2

    Mama Ingrid (Samstag, 11 Mai 2013 00:52)

    Sooo lange hab ich gebraucht, um alles ausgiebig zu studieren. :-)
    Anni, du hast Angst vor diesem Gewürms? Dann bist du aber doch nicht Kleingärtners Enkelin. ;-)
    Uhart-Mixe, Ostabat-Asme, Larribar-Sorhapuru? Ey, Alter, was ist das für ein Sprache? Was seid ihr in was für ein Gegend?
    Tadaaaa! Also doch kein Schlafen unter freiem Himmel ohne Schlafsack!
    Schlaft gut, lG und Küssi für Sira

  • #3

    Ralf (Samstag, 11 Mai 2013 14:29)

    Viel Glück und Kraft bei der morgigen Etappe hoch in die Pyrenäen. Habe diesen Weg vor 4 Wochen gemacht und schon damals an Euch gedacht. Er ist mächtig steil.
    Vielleicht ist auch ein Besuch der Pilgerherberge in St Jean möglich. Bei http://www.espritduchemin.org/nl
    Wer in dieser Herberge nicht war....hat den Jakobsweg nicht richtig begonnen :-) :-)
    Grüße aus Deutschland
    Ralf

  • #4

    opaundafrikapilgern (Samstag, 11 Mai 2013 19:59)

    Hallo, Ralf! Wir wollten auch gerne in die Gite l'Esprit du Chemin, aber leider nehmen die keinen Hund. Oben über Hounto werden wir auch nicht gehen. Vor ein paar Tagen, als wir die Unterkünfte gebucht haben, dachten wir noch, wegen dem Schnee wäre alles zu. Aber über Valcarlos ist auch schön! Liebe Grüße!