Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Pilgerinnen und Pasteten

Von Sauvelade nach Bellevue, 28 km

Das hatte schon was von einer Campingnacht! Nur in diesem "Zelt" steht ein Bett und die Wände sind teilweise offen. Also praktisch haben wir draußen geschlafen, nur drei Schritte von einem großen Pool entfernt. Unsere Befürchtung, in der Nacht zu frieren, hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet. Ganz im Gegenteil: Unter den Bergen von angeforderten Decken ersticken wir fast und strampeln uns frei. Also, wenn alle zukünftigen Zeltnächte so erholsam werden, bin ich zufrieden.

Das Frühstück war für 7.30 Uhr vereinbart, eigentlich für uns eine halbe Stunde zu spät. Anni und ich packen aber Rucksack und Wheely fertig, damit wir unmittelbar danach sofort wegkommen. Hier haben wir jedoch die Rechnung ohne Gite-Wirtin Nadette gemacht. Sie redet viel und laut, rennt hierhin und dorthin, tut noch dies und das, nur das Frühstück bekommt sie nicht auf den Tisch. Unsere Pilgerbekanntschaft Janine, eine etwas ältere und drahtige kleine Französin, wird genauso ungeduldig wie wir, denn heute haben wir wieder einen strammen Tag vor uns. Irgendwann ist es dann endlich so weit und wir können uns die selbstgemachte Marmelade auf den Toast streichen. Der Preis dafür: Wir dürfen ein Trommelfeuer von einseitiger französischer Kommunikation über uns ergehen lassen, in einer Lautstärke, die wehtut. Bis sie bereit und in der Lage ist, uns die Rechnungen zu präsentieren, dauert es wieder ein Weilchen. Selbst Landsmännin Janine rollt mit den Augen, auch sie will los. Es ist bereits 8.45 Uhr, als wir uns von Nadette verabschieden, Küsschen links, Küsschen rechts. Ihr Pyrenäenhund Hermine sitzt auf der Straße und schaut traurig ihrer neuen Freundin Sira hinterher. Ein rührendes Bild!

Vom Wetter weiß ich anfangs nicht , was ich halten soll. In der Nacht hat es nicht mehr geregnet und erst sieht es noch ganz nett aus. T-Shirt und Zipp-Hose ist angesagt, aber langsam, ganz langsam wird es immer dunkler. Noch im Trockenen erreichen wir kurz vor Mittag die Altstadt von Navarrenx. Als wir uns der Kirche nähern, hören wir Orgelklang und Gesang. Heute ist Christi Himmelfahrt, auch in Frankreich ein hoher Feiertag, und der Gottesdienst läuft. Vor der offenen Kirchentür stehen draußen noch etliche Menschen, alle im feinsten Feiertagszwirn, und schauen andächtig ins Kircheninnere. Ist die Kirche überfüllt? Wie bei uns nur Heiligabend oder zur Konfirmation bzw. Kommunion? Oder will man nur näher dran sein an dem Geschehen, das sich nur wenige Schritte entfernt abspielt? Staunend erblicke ich nämlich auf dem Platz zwischen Kirche und Mairie eine Ansammlung von sauber geparkten Oldtimern. Umlagert von einer weiteren gehörigen Menschenmenge glänzen sie im saubersten Lack vor sich hin und lassen sich bestaunen. Während Anni sich auf eine Bank setzt, kurve ich mit meinem Wheely für eine Viertelstunde zwischen der Menschenansammlung hindurch. Immer mal wieder bin ich für den ein oder anderen in einem kurzen Moment sogar interessanter als die Oldtimer. Ein Mann in meinem Alter fragt mich sogar scherzhaft, ob mein Wheely ungefähr der Jahrgang der umstehenden Autos wäre. Kleiner Scherzkeks!

Während wir dem Treiben von einer Bank aus noch so zusehen, setzt sich ein weibliches Wesen zu uns. Etwas eigentümlich ist sie gekleidet, wie Aladdin aus Tausendundeiner Nacht, der mit der Wunderlampe. Sie fragt nach dem Woher und dem Wohin und wie das mit dem Hund so klappt, Fragen, die wir auf unserem Weg schon viele Male gehört und auch beantwortet haben. Anni gibt bereitwillig Auskunft und wir wollen gerade wieder aufbrechen und weiterziehen, als Aladdine uns fragt, ob wir einen Kaffee oder Tee haben möchten. Da man als Pilger ja nun mal sehen muss wie man durchkommt, nehmen wir das Angebot dankend an. "Es wird einen Moment dauern", sagt sie und entschwindet. Wir denken schon fast, sie kommt nicht mehr zurück, da sehen wir sie mit zwei Gläsern, offensichtlich heißen Inhalts, wieder nahen. Sie übergibt uns Kaffee und Tee und hockt sich auf den Boden. Jetzt ist es natürlich an uns nachzufragen, mit wem wir es zu tun haben. Auf deutsch erzählt sie uns, dass sie auch eine "Peregrina" (Pilgerin) ist, dass sie sich aber für ein lebenslanges Pilgern entschieden hat. In Vezelay in Frankreich hat sie im November letzten Jahres ihren Weg begonnen und ihn in Spanien auf dem Küsten-Camino fortgesetzt. Unterwegs ist sie krank geworden und hat einen Monat lang pausiert. Nach Ankunft in Santiago hat sie direkt andere Jakobswege unter die Füße genommen, die Via della Plata und den Camino Portuguese. Jetzt ist sie auf der Via Podiensis wieder auf dem Rückweg und aus körperlicher und geistiger Erschöpfung vor einer Woche hier in Navarrenx hängengeblieben. Insgesamt macht sie uns einen recht entrückten Eindruck. Anni und ich fragen uns, nachdem wir uns dann doch von ihr verabschiedet haben, was mit diesem Menschen vor Beginn seiner Pilgerschaft gewesen ist. Gab es ein besonderes Ereignis, das ihn zur Pilgerschaft gebracht hat? Was hat der Weg unterwegs mit ihm bzw. aus ihm gemacht? Was ist bei ihm so ganz anders als bei uns? 
Wird er tatsächlich und im wahrsten Sinne des Wortes auf seinem Weg bleiben oder irgendwann dann doch mal wieder ein "normales" Leben führen?

Es beginnt zu tröpfeln, als wir durch ein altes Stadttor Navarrenx verlassen - und aus Tropfen wird ergiebiger Dauerregen. Unter meinem Schirm stapfe ich stoisch die Straße entlang und beobachte, nicht ganz ohne Sorge, wie Anni und Sira vollkommen durchnässen. Ach Tochter, hättest du doch nicht deinen Schirm nach Hause geschickt oder würdest dir wenigstens deinen Poncho überwerfen... Sira schüttelt sich nur ab und zu, ansonsten trottet sie genauso stoisch ihren Weg hinunter wie ich. Ein richtiger Outdoor-Hund!

Eigentlich ist an eine Rast bei solchem Sauwetter nicht zu denken, aber Jakobus schickt uns zum richtigen Zeitpunkt einen Abri, einen Pilgerunterstand. Und dieser Pilgerunterstand ist kein normaler Pilgerunterstand. Er steht neben einer Fabrik, die kleine Pastetenkonserven herstellt. Und viele dieser kleinen Pastetenkonserven stehen aufgetürmt auf einem Tisch in dem Abri, zum verbilligten Pilgerpreis käuflich zu erwerben. Geld bitte in die Honor-Box! Anni will unbedingt eine Dose kaufen und während sie noch über die Sorte nachdenkt (Leberpastete von Gans, Reh, Wildschwein oder Hase, in Armagnac oder Rotwein, süß, sauer oder scharf), kommt der Besitzer der Firma aus seinem benachbarten Privathaus und berät sie. Mit einer Dose Rehpastete verlassen wir schließlich das Abri und gehen wieder hinaus in den Regen.

Und siehe da, wir sind noch nicht lange wieder unterwegs, hört der Regen auf. Nur um etwa zwei Kilometer vor dem Tagesziel erneut zuzuschlagen. Ganz zum Schluss müssen wir sogar noch über eine hüfthohe, klatschnasse Wiese. Danke, Jakobus, diese Taufe wäre nicht nötig gewesen!

In der Gite Bellevue, kurz vor Aroue, die Krönung: Sira darf nicht mit aufs Zimmer. Verdammte Sch...! Doch es fügt sich. Wir bekommen ein Zimmer durch den Hintereingang zugewiesen, mit eigener Dusche und Kochecke. Sira darf zwar nicht mit aufs Zimmer, sondern muss auf dem Flur bleiben, es hat aber niemand gesagt, dass wir die Tür zwischen Zimmer und Flur schließen müssen. Also bleibt die Tür auf und unsere liebe Pilgerfreundin bleibt brav in der Türöffnung auf ihrer dicken Matte liegen - und schläft.

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Samstag, 11 Mai 2013 00:32)

    Mh, lebenslanges Pilgern - auch eine Einstellung.
    Ja, das kenne ich, Anni lässt sich immer nass regnen, vielleicht stärkt das ihre Vitalfunktionen. Sie ist da noch stoischer als ihr Hund ;-)
    Glück gehabt, Sira, Frauchen in der Nähe.
    Küssi

  • #2

    Dani (Mittwoch, 15 Mai 2013 07:28)

    Viel Glück mit dem Zelt. Hoffe es kommt heile an.