Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Da waren's nur noch drei!

Von Aire sur l'Adour nach Pimbo, 26 km

Endlich eine Nacht, in der ich nicht friere! Unser kleines Zimmer heizt sich, glaube ich, schneller auf als Johans und Nannis Zelt.

Bei unserem letzten gemeinsamen Frühstück sitzen auch die stets um unser Wohl besorgten Herbergseltern. Odile lächelt und nickt uns die ganze Zeit freundlich zu. Als wir gehen, stehen beide noch in der Tür und winken, bis wir aus dem Blickfeld verschwinden. Ich fühle mich wie ein Kind am ersten Schultag. Odile ist einfach wie eine Mami.

Wir verabschieden uns nach einer tollen Woche von Johan und Nanni, denn die zwei wollen noch eben nach St-Jean-Pied-de-port trampen, um die Pyrenäen überqueren zu können. Meine Güte, so spontan werd ich nie mehr werden. Ich bin dann doch mehr der Typ, der lieber heute weiß, wo er morgen schläft. Aber jedem das Seine. Nach einer herzlichen Umarmung laufen wir in verschiedene Richtungen und sind bald wieder unter uns.

Die Sonne gibt schon jetzt alles. Es dauert keine halbe Stunde, da muss ich mein Fleece abschmeißen, Papa hat es sich direkt gespart.

Durch typische Vorstadtgebiete laufen wir gen Süden. Ich hätte gar nicht gedacht, dass Aire sur l'Adour so groß ist!

Wir gelangen an den Lac du Broussau, einen großen See mit zugehörigem Naturschutzgebiet. Irgendwie sieht es hier aus wie bei meine Omma in Resse am Ewaldsee. Das find ich gut! Hier gefällt's mir. Mehrere Gruppen von Anglern gehen hier in der Frühe ihrem Hobby nach. Das wäre ja nichts für mich... Nur so rumsitzen und warten, bis ein Fischlein blöd genug ist... Hm, vielleicht hab ich aber auch den tieferen Sinn des Angelns einfach nicht verstanden. Ich wander lieber...

Der See hat auch für Papa die eine oder andere Tücke parat: Wir müssen ab und an durch Matsch, den Vorläufer mit dicken Baumscheiben oder Ästen ausgelegt haben. Für Fußgänger ist das ja nett. Mit einer Karre muss man aber ganz schön darüberrumpeln. Papa trägt's mit Fassung und Körpereinsatz. Auch die nächste steile Steigung meistert er gekonnt. Eine gute Einstimmung für die Pyrenäen. Papa schlägt sich immer besser mit seinem Wheely. Man kann sagen, es tritt eine gewisse Gewöhnung ein. Auch an sein leises Geklapper und Geschepper. Genauso haben wir uns inzwischen an das kontinuierliche "Klack!" meines Pilgerstabes gewöhnt. Die Hände tun auch schon fast nicht mehr weh und ich werde inzwischen ziemlich akrobatisch beim Multitasking mit Handy, Hund, Stock, Wasserflasche und entgegenkommende Autos. Anscheinend bin ich inzwischen so sehr ans Geklapper gewöhnt, dass mir noch nicht mal auffällt, wenn es NICHT mehr da ist. Gestern wäre es fast soweit gewesen, dass ich meinen Stab nach einer Pause hätte stehen lassen. Papa hat mich gerettet und mir meine Waffe hinterher getragen.

Als wir den See eine Weile hinter uns gelassen haben, ist es bald soweit: Wir können den ersten Blick auf die Pyrenäen werfen! Schneebedeckt, majestätisch und in der Sonne glänzend liegen sie in der Ferne vor uns. Soweit sind wir gelaufen und jetzt sind nur noch sie zwischen uns und dem "Camino Frances", DEM Jakobsweg und DER Pilgerroute. Boa, ein Wahnsinnsgefühl!

Vor den weißen Bergen sieht man nichts als braune Ackerlandschaften. Felder soweit das Auge reicht. Auf den Äckern drehen Traktoren ihre endlosen Bahnen. Ob das für die Landwirte hinterm Steuer so etwas Meditatives hat wie Mandalas malen?

Als wir gefühlte zehn Kilometer (reelle vier) an endlosen Feldern entlangmarschiert sind, entscheiden wir uns für eine Pause im Halbschatten. Nach einer Weile fühlen wir uns wie auf dem Volkswandertag. Circa zwanzig Leute laufen in Zweiergruppen an uns vorbei und grüßen. Was ist denn hier los?

Sira hat nach der Pause ihre helle Freude bei der Pilgerhatz. Als wir zwei von ihnen einholen, erzählen sie uns, sie seien aus dem Elsass mit einer Zwanzigergruppe angereist. Da lagen wir mit unserer Vermutung ja gar nicht so schlecht.

Wir laufen weiter durch die brennende Sonne, dank Papas Wheely größtenteils über Teerstraßen.

Unsere zweite Pause machen wir in Miramont-Sensacq (wer denkt sich eigentlich diese komplizierten Namen aus?). Am herrlich kühlen Trinkwasserbrunnen wasche ich erstmal meine Füße und wässere meinen Kopf. Das ist herrlich und fürchterlich zur gleichen Zeit. Ich versuche, Sira zu einer Pause im Schatten zu überreden. Gar nicht so leicht. Die griechische Göttin ist eben eine Sonnenanbeterin. Immer wieder sucht sie sich einen Schlafplatz in der brennenden Sonne. Da muss die Mama es tatsächlich mal besser wissen. Ich nötige sie wieder in den Schatten. Ein Mann kommt und begrüßt uns. Er ist der Priester des Dorfes. Er wünscht uns einen guten Weg, tätschelt den Hund und verschwindet wieder. Der hätte uns mal lieber nen Kaffee oder ne Cola bringen können... Nagut, müssen wir halt an unsere beachtlichen Vorräte halten. Ist sowieso besser, dann hat Papa nicht mehr so viel zu ziehen...

Als wir weitergehen, hat Papa schon das erste Problem mit seinem Wheely: Eine der angenähten Schnallen, die das Geschirr am Wagen halten, löst sich so langsam. Noch ist sie nicht ganz ab, aber es sieht so aus, als würde das nicht mehr lang auf sich warten lassen.

Am nächsten Pferdehof, den wir passieren, nutzt Papa die Chance und fragt, ob man ihm helfen kann. Man schickt ihn weiter zum Schuster in der nächsten Stadt. Gut, bis dahin dauert es noch einen Tag, also sitzen wir das Ganze einfach aus. Papa hält die Schnalle von jetzt an vorsichtshalber fest.

Durch die brennende Sonne laufen wir weiter nach Pimbo. Immer wieder bekommt der Hund eine Schüssel voll Wasser. Ich frage mich ein bisschen besorgt, ob Sira der spanischen Hitze gewachsen ist. Wir werden sehen. Aber bei so einem Wetter freue ich mich ganz schön aufs Zelten!

In Pimbo laufen wir direkt auf das gut besuchte Pilger-Accieul zu. Mehrere Pilger sitzen davor, auch ein Mann mit Hund. Ein schönes Tier! Eine Art Collie, denke ich. Ich befürchte, wir sind in der gleichen Herberge und frage mich schon, wie das wohl wird, da schultert der Mann seinen Rucksack, verabschiedet sich und zieht weiter. Puh, nochmal Glück gehabt. Die nette Dame vom Accieul gibt dem Hund erst Wasser und zeigt uns dann die Gite Communal, mit einem Schlafsaal voller moderner Bundeswehrpritschen. Ganz schöner Seegang!

Unsere Herberge teilen wir uns mal wieder mit der kleinen Japanerin von letzter Nacht. Irgendwie werde ich aus ihr nicht schlau. Dieser kleine zierliche Mensch trägt einen Rucksack, der beinah so groß und schwer ist wie sie selbst. Trotzdem hat sie einen energischen Schritt drauf, der ihren gesamten Körper in Anspruch nimmt. Am Ende des Tages humpelt oder stöhnt sie nicht wegen Blasen oder anderen Wehwehchen. Sie lächelt und nickt immer nur. Genauso wie ich mir eine elitär erzogene Japanerin vorstelle. Ich frage mich, was für sie den Reiz am Jakobsweg ausmacht. Sie ist sprachlich völlig isoliert, und ich glaube nicht, dass sie hier sehr viele ihresgleichen findet. Kein Wunder, dass sie andauernd Selbstgespräche führt.

Papa hat mal wieder zu seiner eigenen Überraschung mit Halbpension gebucht. Wir richten uns fast schon wieder auf ein Gelage mit Wein und Dreigängemenü ein und wundern uns schon etwas über den Preis von insgesamt 15 Euro (Bett und Essen), da bringt die gute Frau vom Accieul uns eine Tüte Nudeln, ein Glas Tomatensauce, drei Döschen mit Apfelmus, drei Babybel und drei kleine Baguettes. Kochen müssen wir selbst. Fürs Frühstück sind Kaffee, Tee, Marmelade, Butter und Milch bereits vorhanden. Na gut, dann ist der Preis verständlich. Dafür hat Papa wenigstens viel Zeit zum Schreiben, wenn das Essen schnell abgehandelt ist.

Außer mit der Japanerin teilen wir unsere Herberge noch mit einem Franzosen, der nur wenig englisch spricht, sich aber doch alle Mühe gibt, gemeinsam mit uns zu kochen, zu essen und zu spülen. So richtig kommt das Gespräch nicht in Gange...

Da sind mir doch englisch- oder deutschsprachige Mitbewohner lieber!

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Kommentare: 3
  • #1

    Christof (Mittwoch, 08 Mai 2013 21:28)

    Irgendwie schade, dass Ihr wieder zu dritt unterwegs seid. Die Geschichten zu fünft haben ich an die Alpenüberquerung letztes Jahr erinnert. Miss those days.

    Liebe Grüße aus Franken,

    Christof

  • #2

    Dani (Donnerstag, 09 Mai 2013 23:15)

    Vatertag!! Bin besoffen!!!! Aber trotzdem gelesen.

  • #3

    Mama Ingrid (Freitag, 10 Mai 2013 23:37)

    Hm, diese Abschiede von netten Pilgergefährten oder Herbergsleuten sind sicher nicht immer ganz leicht. Vielleicht gehört auch das zum Pilgern.?
    Da deine Schulter noch dran ist, Reinhard, nehme ich an, André, der Knochenbrecher, wusste tatsächlich, was er tat ;-)
    Anni, ihr seid doch nicht nur "so weit gelaufen und jetzt endlich bald auf DEM Jakobsweg". Ihr seid schon die ganze Zeit auf EUREM Weg, und was ihr gesehen, erlebt und erfahren habt, auch über euch selbst, im Schneegestöber in der Eifel oder sonstwo, wird euch immer erhalten bleiben.
    Jaja, für die Angler ist es sicher genauso "Mandalas malen" wie für die Bauern auf ihren Traktoren - auf eine gewisse Art.
    Die Japanerin zeigt diese "typische" disziplinierte, introvertierte asiatische Lebenseinstellung - auch wenn sie Selbstgespräche führt, hihi.
    Endlich mal wieder spartanisches Pilgeressen! ;-)