Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Traumlandschaft

Von Aumont-Aubrac nach Nasbinals, 27 km

Heute ist Montag und Montage sind gefürchtete Tage. An Montagen ruht der örtliche Handel und wer daran nicht denkt, steht vielleicht ohne Lebensmittel da. Es sei denn, er hat noch versteckte Reserven, auf die er im Notfall zurückgreifen kann. Oder man hat das große Glück, dass eventuell doch ein kleiner Laden auf hat. Dieses Glück haben wir tatsächlich. Ein Minisupermarkt direkt in der Nähe unserer Gite kennt wohl die Nöte der Pilger und macht mit ihnen sein gutes Geld. Genau wie die anderen Herbergsschläfer würden wir gerne noch vor dem Frühstück dort einkaufen, aber geöffnet wird erst um 8 Uhr. Wir wollen aber früh los, die Etappe von heute ist recht lang. Also heißt es die letzten Reserven aufzubrauchen und nach dem Aufbruch den Rucksack zu füllen.

Wir haben noch Haferflocken, etwas Milch und Ovomaltine, damit ist unser Frühstück schnell "gezaubert". Am Geschmack von unserem Porridge fällt aber auf, dass die Milch das Geschaukel über zwei Tage am Rucksack und in der Sonne etwas übel genommen hat. Das Porridge schmeckt anders als sonst, leicht sauer. Aber wir ollen Surviver haben damit ja nix am Kopp. Rein in den Schlund und dann rein in die Schuhe!

Im VIVAL-Lädchen bekommen wir alles, was wir für heute brauchen. Für eine halbe Stunde herrscht hier ein reges Pilgertreiben. Man trifft und begrüßt sich, kauft ein, hält ein kurzes Schwätzchen und verabschiedet sich wieder. Viele wird man wiedersehen, bei einer Rast oder am Zielort, andere nicht.

Einige Pilger gehen schon fußlahm los, da möchte ich nicht wissen, was der Tag so für sie bereithält. Andere marschieren munter und unternehmungslustig zum Ort hinaus, zu den letzteren gehören wir. Direkt am Ortsausgang nehmen wir eine Variante. Wir sparen drei Kilometer ein und nehmen statt des Schotterweges die kaum befahrene Landstraße. Die kürzere Tagesstrecke ist der eine Vorteil, der andere wiegt fast mehr: Sira nimmt keine Pilgerfährte auf und trottet zufrieden neben Annika her. Annika ist daher gut gelaunt und trottet zufrieden neben ihrem Vater her. Die Straße, auf der wir nun alle gemeinsam dahertrotten, ist die "Route d'Aubrac", die uns in eine der einsamsten und am wenigsten besiedelten Landschaften Frankreichs bringt, die Aubrac.

Hier ist die ländliche Idylle noch perfekt: grüne Wiesen, Heide und Ginster, glückliche Kühe und Esel, kleine Seen, murmelnde Bäche und viele, viele Steine, manche so groß wie kleine Einfamilienhäuser. Die trutzigen Häuser der Ansiedlungen aus grauem Basaltstein mit ihren meist kleinen Fenstern zeugen von der jahrhundertealten Architektur der Region.

Als wir unsere Abkürzung hinter uns haben und die Landstraße verlassen, folgen wir für einige Zeit einem herrlichen Wanderpfad, der uns, flankiert von Steinmäuerchen, durch das Herz der Aubrac führt. Ich kann oft nur andächtig umherschauen oder fotografiere, was das Zeug hält. Das meiste aber speichere ich im Kopf, Bilder alleine können das nicht wiedergeben. Die Stille, das Zwitschern der Vögel, das Gesumm der ersten Insekten. Ich bin begeistert.

    Anni erfreut sich wohl auch an der Landschaft, aber inzwischen nicht mehr an ihrer Sira. Kaum waren wir wieder auf dem offiziellen Jakobsweg, spielt sie wieder Pilgerjagen. Sie zerrt an der Leine, zieht ihre Nase in Staubsaugerart über den Boden und gibt manchmal Laute von sich, die an einen Jagdhund auf der Hatz erinnern. Sie will das Pilgerrudel zusammenführen, auch wenn ihr Frauchen das nicht einsehen will.

In Finieyrols hängt ein kleines Schild am Ortseingang. Dank unseres fortgeschrittenen Französischs können wir ihm entnehmen, dass  die lieben Dorfbewohner im Ort den Pilgern eine Picknick-Möglichkeit und eine Toilette hergerichtet haben und man darum bittet, nicht private Grundstücke fremdzunutzen. Am angegebenen Ort finden wir in der Tat klobige Tische und Bänke aus Naturstein - nur eine Toilette kann ich nicht ausmachen. Zwar steht eine winzige Kapelle mit einem kleinen Steinkreuz auf dem Dachfirst neben einem plätschernden Brunnen, das war's aber. Anni wirft einen Blick hinein ... und teilt mir grinsend mit, dass die Kapelle vielleicht mal eine Kapelle war, jetzt aber eine Toilette ist. "Tja, Papa, so bekommt der Ausruf 'Ach du heilige Scheiße!' eine ganz neue Bedeutung." - Typisch Anni!

Bei unserer letzten Rast in Rieutort d'Aubrac klingelt mein Handy. Kronprinz Daniel ist dran und fragt nach unserem Befinden. Wir geben einen Lagebericht und schwärmen ihm von unserem Pilgerleben vor. Ich erkundige mich auch nach dem Stand der Dinge zu Hause und bin größtenteils mit dem zufrieden, was ich höre. Fast neun Wochen sind wir nun unterwegs, da bin ich schon für jede (positive) Nachricht aus der Heimat dankbar.

Beim Eintreffen an unserem Etappenziel Nasbinals laufen wir direkt auf eine Tierarztpraxis zu. Siras Ohr ist immer noch nicht in Ordnung und Anni steuert schnurstracks auf die Praxis zu. Aber diese Geschichte soll Anni selbst erzählen.

Das Centre d'Accueil Nada, unsere Unterkunft für heute, liegt ganz in der Nähe. Es liegt in der einen Hälfte eines kleinen Schulgebäudes, die andere Hälfte wird immer noch als Schule genutzt. Auf dem Schulhof spielen viele Kinder und machen beim Fußballspielen ein herrliches Spektakel. Mensch, wie ich das vermisse!

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Kommentare: 4
  • #1

    Mama Ingrid (Montag, 15 April 2013 22:46)

    "Ach du heilige Scheiße"! Vergammeltes Frühstück! Dein dickes Fell in dieser Hinsicht kenne ich ja, aber dass Anni das mitgemacht hat!
    Schöne Fotos, auch wenn der Himmel nicht so blau ist wie gestern. Man hat den Eindruck, dass ihr inzwischen in einer echt verlassenen Gegend angekommen seid. Nichts als unberührte Natur. Gefällt mir gut.
    Nene, Reinhard, nix Pausengeschrei auf dem Schulhof, nix vermissen, einfach hinter sich lassen.
    Schön, dass ihr jetzt zu einer Pilgergemeinschaft geworden seid, die ja noch Wochen dauern wird, auch wenn das ein paar Sira-Probleme macht. Hihi, kann ich mir gut vorstellen, wie sie allen hinterher schnüffelt.
    CU, muss noch arbeiten, morgen wieder Probe.

  • #2

    Johananni (Dienstag, 16 April 2013 12:11)

    Hallo ihr Beiden.

    Wir schreiben ja auch gerade jeden Tag in unserem Blog und verfolgen jetzt auch täglich eure Berichte.
    Wir haben heute Morgen auch Milch gefrühstückt, die schon einen Tag an der Costa Brava durch die Sonne gewandert ist. Es war allerdings Soja Milch und schmeckte in keinster Weise sauer, sondern noch wie am ersten Tag!
    Vielleicht probiert ihr's mal mit Sojamilch. Schmeckt auf jeden Fall auch.(Vor allem zu hochwertigen deutschen Müsli, das wir hier im Supermarkt ergattern konnten...)

    Liebe Grüsse und bis bald.
    Wir wünschen euch noch mehr sonnige Tage

  • #3

    u=50218 (Dienstag, 30 April 2013 00:35)

    I just shared this upon Facebook! My friends will definitely want it!

  • #4

    heidelbergpilger (Donnerstag, 23 Mai 2013 17:18)

    Wir (zwei pilgerinnen aus aschaffenburg und weinheim bei heidelberg) sitzen gerade im hotel de france in nasbinals und ich bin durch zufall über euren block gestolpert. Sehr amüsante und treffende beschreibung! Alles gute!