Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Harte Prüfungen, Jakobus!

Von Saint-Privat-d'Allier nach Saugues, 24 km

Meine Nacht in trauter Zweisamkeit mit Sira auf dem Wohnzimmerboden war gar nicht so schlecht... Ein bisschen kalt war mir, aber ansonsten habe ich überraschend gut geschlafen. Zumindest, nachdem ich Sira an der Heizung fest gemacht habe. Sie hatte sich abends vor lauter Freude gegönnt, dem einen Herrn auf den Schoß zu hüpfen. Er war not amused. Außerdem wollte ich nicht, dass Sira jeden, der nachts auf die Toilette muss oder morgens vor uns aufsteht, anspringt und blutig knuddelt. Also angepflockt und gut geschlafen.

Ich hatte ja schon befürchtet, dass die Pilger hier auch schon um fünf Uhr das Haus verlassen und mit ihrem Gekrose die armen Durchgangszimmerschläfer wecken, aber nein, erst um 6:30 Uhr, als ich selbst gerade aufstehen will, geht das Gerödel los.

Trotzdem sind wir mal wieder die letzten, die das Haus verlassen. Auf der ersten Höhe hinter Saint-Privat holen wir die ersten Wanderer aber bereits ein.

Und von da an geht das Spiel "Sira sammelt ihr Rudel" wieder los. Ein Geziehe und Gezerre den Rest des Tages. Das mag ja zu Hause lustig klingen, aber wenn es den ganzen Tag so läuft, raubt es einem die Kraft. Und macht irgendwann stinkwütend. Und dann wieder verzweifelt. Und ich frage mich ernsthaft, wie lange ich das auf diese Art und Weise handhaben kann, bevor ich völlig durchdrehe. Ich hoffe einfach weiterhin auf bessere Tage.

Der anfängliche Streckenverlauf ist fast schon albern. Um den Wanderweg möglichst von der Straße fernzuhalten, führt er in Schlenkern rechts und links von der Straße entlang und kreuzt diese immer wieder. Uns ist das zu blöd. Wir nehmen die Straße bis Rochegude. Dort gibt es mal wieder nur eine Handvoll Wohnhäuser, dafür aber eine winzige, am Felshang stehende Kapelle, ausgestattet mit Jakobsgeschenken ehemaliger Pilger und einem herrlichen Ausblick ins Alliertal und auf die Margeride.

Wir laufen über schmale Geröllhänge steil bergab, durch Pratclaux und bis nach Monistrol-d'Allier.

Nachdem wir die mächtige Stahlbrücke über die Allier überquert haben, machen wir unsere erste Pause. Wir hocken uns einfach vor eine Haustür und genießen die Sonne. Ich sinniere über den ewigen Ärger mit Sira, scheinbar etwas zu offensichtlich. Papa klopft mir in einem Moment des Schweigens auf die Schulter und sagt nur: "Es wird auch wieder bessere Tage geben..." Ich hoffe es!

Nach der Pause schrauben wir uns steil hinauf bis Montaure. 400 Höhenmeter auf 4 Kilometern, nicht schlecht!

Sira zerrt inzwischen auch durchgehend an der Leine. Ich bin wütend und verzweifelt zugleich. Als wir uns in Le Vernet zur zweiten Pause niederlassen, bin ich den Tränen nahe, will nur noch den Hund loswerden und Schokolade in mich reinstopfen.

Hier ist die Welt noch in Ordnung: Hunde bellen uns an, lassen uns aber passieren. Bauern versorgen geschäftig ihre Tiere. Freilaufende Hühner picken auf der Straße vor ihrem Schuppen herum. Und Katzen sind Hunde gewohnt. Na, das ist in unserem Fall nicht unbedingt förderlich für die Gesundheit der Katzen. Die beiden weißen Samtpfoten interessiert das nicht. Sie kommen maunzend auf Sira zu und die ist erstmal so baff, dass sie gar nichts macht. Papa versucht, die Katzen zu verscheuchen und ich sitz inzwischen nur noch teilnahmslos da. Sollen sie machen, was sie wollen. Hund ist angeleint an der Steinbank, Katzen können abhauen. Also macht, was ihr wollt. Tun sie auch... Sira heizt im Vollsprint los und sprengt ihr Halsband. Schnappverschluss zertrümmert, Hund auf der Hatz und ich bin immer noch fast teilnahmslos. Jakobus, hast du heute deinen besonders lustigen Tag?!? Mechanisch erhebe ich mich, schnappe mir die Jägerin und leine sie an ihrem Hunderucksack an. Wir gehen weiter.

Nach einer Weile sehen wir im Tal Saugues liegen, eingehüllt in dicke Regenwände. Klar, bei dem Wind, der uns den ganzen Tag schon bald von der Straße gefegt hat, fehlt uns das natürlich auch noch. Wir schaffen es gerade noch, unsere Rucksäcke einzupacken, da stehen wir auch schon im Hagelschauer.

Da werden Sira und ich immer ganz schnell wieder Freunde: Ich bemitleide sie und zeige Verständnis, sie genießt ihre Rolle. Beim Abstieg geht der Hagel in eiskalten Regen über, der auch mich bald gut durchweicht. Mein Hund tut mir immer noch leid, als  sie sich im Ortszentrum in jeden Hauseingang drängt, um Schutz zu finden.

Tja, vorher führt aber leider kein Weg an der Touri-Info vorbei. Ein neues Halsband muss her! Und die netten Mädels dort sollen uns sagen können, wo wir eins bekommen. Sie verweisen uns auf den Tierarzt und erfragen dort sogar noch telefonisch die Öffnungszeiten.

Jetzt aber erstmal zur Unterkunft. Wir klingeln bei unserer Auberge, aber niemand öffnet. Na gut, dann anrufen. Nur der Anrufbeantworter. Und der nächste Schauer ist im Abmarsch. Wir gehen einfach durch das offene Tor und suchen einen Hauseingang, der uns vorm Regen schützt. Tatsächlich empfängt uns dann aber doch eine Dame, selbst ehemalige Pilgerin. Sie entschuldigt sich, dass sie uns nicht gehört hat, zeigt uns die Unterkunft und zwei weitere uns bekannte Pilgerehepaare. Die einen trafen wir heute kurz unterwegs, die anderen waren gestern Papas Zimmergenossen.

Die Herbergsmutter organisiert schnell, dass ich mit Sira von ihrem Mann zum Veterinaire gefahren werde.

Der Tierarzt könnte sich dann auch gleich Siras Ohr ansehen. Zur Erinnerung: Sira ist vor sechs Wochen mit dem rechten Ohr im Stacheldraht hängen geblieben. Jeden Morgen, wenn wir unsere Tagesetappe antreten, schüttelt sie den Kopf und alles blutet wieder. Der Arzt soll einfach mal nach allem sehen. Ende vom Lied: Ist alles nichts Fürchterliches, allerdings hat Sira für die nächsten fünf Tage einen kompletten Kopfverband. Nervt sie, ist aber noch nichts, was uns davon abhält, weiter zu laufen, immer gen Santiago. Allerdings sieht das echt nicht gut aus.. Was soll's!

Die Herbergseltern sind sehr nett, unsere Mitbewohner auch und auch die nächsten beiden Unterkünfte lassen sich auf Anhieb reservieren.

"Und wenn du denkst, es geht nicht mehr..."

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama Ingrid (Freitag, 12 April 2013 23:38)

    Oje oje, arme Anni! Du bist bisher so tapfer gewesen, mein Mädchen. Halte weiter durch. Ihr schafft das!
    Morgen fahren wir zu Juli, um ein wenig Geburtstag zu feiern :-) Viel Zeit hat der arme Kerl ja nicht.
    Küssi und Drücker,
    Mama

  • #2

    Dani (Samstag, 13 April 2013 12:04)

    ...kommt von irgendwo Jakobus daher. Kleiner Tipp zu Sira. Hab immer eine Flasche Wasser in der Hand. So eine aus der man Spritzen kann (hihi). Wie Radfahrer sie haben. Immer wenn Sira zieht, kriegt sie ne Ladung ins Gesicht. Das macht die genau drei mal, dann reicht schon ne bloße Drohung mit der Pulle. Irgendwann gibt sie es ganz auf. Versprochen.