Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Neue Erfahrungen

Von Le Puy nach St.Privat-d'Allier, 23 km

Die Toiletten im Grand Seminaire sind klasse! Sie haben sowas Erhabenes. Da bekommt die scherzhafte Formulierung "Thrönchen" eine ganz neue Bedeutung. Die Dinger sind nahezu 20 cm höher als normal, ohne als Behinderten-Toiletten ausgewiesen zu sein. Man/frau muss wirklich draufsteigen. Anni meint ebenfalls, dass sie seit 20 Jahren auf einer Toilette nicht mehr so frei hat die Beine baumeln lassen können.

Hierdurch in der Nacht doch recht erheitert, ist das frühe Aufstehen morgens um 6.30 Uhr für mich kein Problem. Aber für Anni! Mein aufdringlicher Wecker mit dem mörderischen Hahnengeschrei bringt sie aus dem Stand auf Hundert. Sonst hat uns immer ihr Wecker geweckt, mit einer fröhlichen Morgenmelodie.

Um 7 Uhr ist nebenan in der Kathedrale die traditionelle Pilgermesse. Täglich werden im Rahmen dieser Messe die teilnehmenden Pilger auf ihren langen Weg spirituell vorbereitet und mit dem Segen und den guten Wünschen der Kirche auf ihre Pilgerschaft geschickt. Das möchte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Anni bleibt dies verwehrt, Hunde haben keinen Zutritt, aber sie kann damit leben.

Als ich um wenige Minuten vor 7 Uhr die Kathedrale betrete, sitzen nur wenige Pilger in den Kirchenbänken. Eine Ordensschwester bittet uns in eine Seitenkapelle, die Chapelle du Sacramente, möglicherweise ist der Pilgeransturm zu dieser Zeit im Jahr noch nicht groß genug, um die Kathedrale damit zu füllen. Immerhin, als der Geistliche etwas später die Kapelle betritt und sich hinter den kleinen Altar begibt, sitzen ihm etwa 50 Pilger gegenüber, teils bereits mit Rucksack und Pilgerstab, teils nur in ihrer Wanderkleidung.

Was sich jetzt abspielt, entzieht sich mir zunächst völlig. Dank meiner gegen Null tendierenden Französischkenntnisse verstehe ich von der Messe rein gar nichts, was ich aber auch nicht schlimm finde. Die lithurgischen Gesänge der Ordensschwester berühren mich, mehr kann ich nicht erwarten. Das lockere Gespräch im Anschluss vor der großen Jakobusstatue im Hauptschiff ist kurzweiliger. Alle Pilger stehen im Halbkreis um den Geistlichen herum, und erzählen ihm auf seine Bitte hin, wo er oder sie herkommt. Die meisten sind, kein Wunder, Franzosen. Aber es ist international: Kanadier, Spanier, Holländer, Schweizer. Ich bin der einzige Deutsche. Wir alle werden uns heute von Le Puy aus auf den Weg machen. Die meisten werden Anni und ich zumindest in den ersten Tagen wiedersehen, bei einer Rast am Wegesrand, in einem Cafe, einer Bar oder sogar in der gleichen Unterkunft. Vielleicht werden wir mit dem einen oder der anderen interessante oder lustige Gespräche führen, vielleicht uns sogar anfreunden, wer weiß.

Nach dem Frühstück im großen Speisesaal des Grand Seminaire ziehen wir los. Wir sind so ziemlich die Letzten. Von dem Starkregen, der für heute angekündigt war, merken wir nichts. Ganz im Gegenteil: Oft zeigt sich die Sonne und ein frischer Wind verbindet sich mit ihr für mich zu einem idealen Wanderwetter. Wir steigen aus dem Kessel von Le Puy hinauf auf die Höhen und haben ab dann für den Rest des Tages herrlich weite Ausblicke auf die zahlreichen Vulkanketten des Velay. Stetig, aber nicht sehr anstrengend, steigen wir hinauf bis über 1200 Meter, so hoch waren wir noch nicht. Aber die neueste Erfahrung ist: Wir sind nicht mehr allein auf dem Weg. Andere Pilger ziehen allein, zu zweit oder in Grüppchen vor oder hinter uns her, man grüßt sich bei einer Rast - das wird nun öfter so sein. Noch gibt es untereinander Sprachprobleme, aber auch das wird sich geben. An einer noch geschlossenen Bar im kleinen Dorf Monbonnet teilt ein Schweizer mir, als Anni und ich ankommen, im breitesten Schwiezerdytsch mit, dass ich nur um die Ecke rum mal freundlich Bitte! Bitte! sagen solle, dann bekäme ich bestimmt auch ein Bier. Ich folge dem Ratschlag und bekomme auch zwei. Das recht trockene mitgeführte Baguette rutscht so wesentlich besser runter.

Um kurz nach 16 Uhr erreichen wir unsere Unterkunft in St.-Privat-d'Allier, die Gite Kompost' L. Als wir schlafengehen, sind alle Betten belegt, eine ganz neue Erfahrung. Da Anni Sira nicht mit in den Schlafraum nehmen darf, liegt sie jetzt auf einer Matratze neben Sira im Aufenthaltsraum. Noch eine neue Erfahrung.

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Kommentare: 2
  • #1

    Franz-Jupp Monschau (Donnerstag, 11 April 2013 23:01)

    Hallo Ihr beiden! Muss es mal los werden: Ich beneide Euch! Hatte selbst auch mal an ein ähnliches Unternehmen gedacht; aber mein Herzinfarkt vor fast 2 Jahren lässt die Verwirklichung dieses Traumes nicht mehr zu. Inzwischen bin ich glücklich, wenn ich mal (wie heute) 2 km am Stück schaffe.Ich wünsche Euch weiterhin schöne Erlebnisse, gutes Wetter, keine Blasen an den Füßen, beste Gesundheit, jeden Abend eine angenehme Unterkunft, reichlich Freude und ... Franz-Jupp

  • #2

    Dani (Freitag, 12 April 2013)

    Jetzt seid ihr nicht mehr die einsamen Pilgerer. Jetzt seid ihr drei von vielen, und es werden täglich mehr werden.