Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: April, April!

Von Briennon nach St-Haon-le-Chatel, 25km

Gefrühstückt wird heute morgen auf dem Zimmer. Nach dem Einchecken hatten wir bereits gestern auf ein petit dejeuner verzichtet. Bei den eigenen Vorräten wissen wir wenigstens, was wir haben.

Allerdings müssen unsere Vorräte wieder aufgefrischt werden. Der Franzose kennt keinen Ostermontag, daher besteht die Hoffnung, dass wir einen Laden finden. Andererseits sind viele Lebensmittelgeschäfte montags geschlossen, weil sie sonntagmorgens geöffnet haben. Wir haben Glück und finden ein Lädchen, wo wir alles finden, was wir auf die Schnelle brauchen.

Und jetzt kommt der Hammer! Die Sonne scheint - von einem flatschblauen Himmel! Der morgendliche Frühnebel hat sich aufgelöst und es ist einfach nur schön. In der Nacht muss es aber unter 0°C gewesen sein, denn überall, wo die Sonne noch nicht hinreichen kann, liegt noch Raureif auf den Wiesen. Teer- und Wiesenwege bestimmen heute unseren Jakobsweg, nennenswerte Steigungen gibt es kaum. Kein Wald schränkt den Blick ein und wir kommen gut voran.

Es ist kaum eine Stunde vergangen, stehen wir vor der beeindruckenden Abteikirche von La Bennison-Dieu. Über 50 Meter hoch ist der Kirchturm, im typischen farbenfrohen Stil der Region ist das riesige Dach eingedeckt. Anni und Veronika gönnen mir wieder eine kleine Besichtigung, während sie draußen in der Sonne auf mich warten.

Wenig später erleben wir eine etwas beklemmende Situation: Auf einem Weg am Waldrand finden wir eine kleine tote Katze. Fast sieht es aus als würde sie schlafen. Sira vibriert nahezu vor Aufregung. Zentimeterweise nähert sie sich mit ihrer Nase, darauf gefasst, urplötzlich zu reagieren, sollte die Katze irgendeine Aktion ihrerseits zeigen. Sie tastet das Fell der Katze mit ihrer Nase ab, schnüffelt, knurrt leise, startet erste Knabberversuche, jederzeit aber auch zur Flucht bereit. Irgendwann reicht Anni das etwas makabre Schauspiel und sie zieht Sira energisch von der kleinen toten Kreatur weg.

Wenig später eine amüsantere Situation: Wir erreichen einen Bach, der nach den vergangenen Schlechtwettertagen viel Wasser führt. Quer durch den Bach führen kleine runde Watsteine aus Beton von einem Ufer zum anderen, werden aber fast vom hohen Wasserstand erreicht und sehen sowieso sehr glitschig aus. Müsste man tatsächlich hier rübergehen, so wäre das ein sehr waghalsiges Unternehmen. Beim Unwissenden setzt Schnappatmung ein, ich habe meinen Pilgerführer gelesen. Ein Blick nach links und ich sehe, keine zwanzig Meter entfernt, eine kleine Hängebrücke, die wohl schon viele Pilger trocken auf die andere Seite gebracht hat. DAS WEIß VERONIKA ABER NICHT, die etwas verspätet eintrudelt. Anni und ich sind uns in Sekundenschnelle einig: Wir machen uns mit ihr einen Joke. Mit unserem schauspielerischen Talent schildern wir ihr bei Ankunft die etwas "schwierige Situation" und hoffen auf einen kleinen Verzweiflungsausbruch. Jetzt aber verblüfft sie uns. Ohne lange zu überlegen, schnappt sie sich einen ausreichend langen und dicken Stock und macht sich auf die Reise. Bevor nun die Sache schief geht, teilen wir ihr schnell mit, dass WIR lieber die Brückenlösung wahrnehmen. Veronika nimmt's mit Humor und wir erklären diese Aktion zur einem gelungenen Aprilscherz.

Anni greift die Idee des Aprilscherzes sofort auf und spinnt sich einen schönen Aprilscherz für unseren Familienclan zusammen: Papa ist bei dem Versuch, einen Bach zu durchqueren, gescheitert, hat sich dabei verletzt und liegt im Krankenhaus. Veronika ist mit ins Krankenhaus gefahren, sie selbst ist mit Sira allein irgendwo in Frankreich und die Pilgerreise ist wohl jetzt zu Ende. Was soll sie tun??? Man solle ihr bitte per SMS einen Rat geben. - Meine Kinder sind von meinen Aprilscherzen der letzten Jahre wohl ausreichend sensibilisiert, sodass sie darauf nicht hereinfallen. Ihre eingehenden SMS machen mir das deutlich. Enttäuschend!

So gut Veronika die Situation am Bach gemeistert hat, so schwer fällt ihr aber der Rest der Strecke. Immer wieder fällt sie weit zurück, Füße und Beinmuskulatur schmerzen. Bei der letzten Rast in St.-Romain-la-Motte fließen Tränen, nicht nur wegen der Schmerzen, wohl auch, weil unterwegs etwas der Trost fehlt und Anni und ich weit entfernt munter vorwegschreiten. Ich gebe zu, manchmal habe ich die Sensibilität einer Litfaßsäule.

Aber Veronikas Erlösung kommt: Zwei Kilometer vor unserem Zielort St.-Haon-le-Chatel hält neben uns ein Auto. Fahrerin und Beifahrer reden fröhlich auf uns ein und bieten irgendwann Veronika an, sie zur Unterkunft zu fahren. Veronika nimmt natürlich dankend an. War wieder mal Jakobus am Werk? Manchmal möchte man wirklich dran glauben. Das Witzige aber ist, dass das gleiche Auto bereits fast zwei Stunden vorher schon einmal neben uns gehalten hat und die Insassen ein kurzes Pläuschchen mit uns gehalten haben. Veronika hätte sich also vielleicht schon lange nicht mehr zu quälen brauchen. Jakobus, vielleicht warst du hier nicht so richtig auf Zack!

Eine halbe Stunde später steigen Anni und ich die steilen Gassen hinauf bis zu unserer Gite rural in der Rue Grenette und Veronika ist relativ verblüfft, weil wir schneller wieder vor ihr stehen als erwartet. Für sie ist die Welt inzwischen wieder in Ordnung. Gehen kann sie kaum, aber sie lacht wieder. Sie ist begeistert von unserer Unterkunft, freut sich auf unser Abendessen, das bereits im Kühlschrank steht, und auf die daneben funkelnde Flasche Rotwein.

Anni und mich hält es noch nicht in der Gite. Der kleine mittelalterliche Ort hat uns bei unserer Ankunft schon so gut gefallen, dass wir ihn uns nochmal genauer ansehen wollen. Vielleicht kann man unseren kleinen Rundgang so zusammenfassen: Fotomotive zum blöde werden, ein sehr altes Örtchen, aber sehr sauber und gepflegt, nicht kitschig, sondern mit Charakter. Für mich bisher der schönste Ort unserer Pilgerreise.

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Kommentare: 4
  • #1

    Mechthild S.-G. aus G. (Dienstag, 02 April 2013 11:22)

    Hallo Ihr Lieben,
    jetzt muss ich doch auch mal meinen Senf dazugeben. Ich freu mich, dass Ihr so klasse vorankommt, dass ist ja jetzt schon echt eine beachtliche Leistung, Hut ab! Aber: Quält mal die Veronika nicht so (die brauch ich noch ;) Aber im Ernst, zum Thema Sensibilität: Wie sagt man so schön, Selbsterkenntnis ist der erste Weg ...
    Auf jeden Fall wünsch ich Euch endlich mal dauerhaft besseres Wetter und weiterhin gutes Vorankommen!
    Liebe Grüße,
    Mechthild

  • #2

    Nochmal Mechthild (Dienstag, 02 April 2013 11:24)

    Auweia, was für ein grässlicher Rechtschreibfehler in meinem Kommentar!

  • #3

    Dani (Dienstag, 02 April 2013 13:30)

    Wo bleiben die Fotos?! ;o)

    Und nur mal nebenbei: ICH BIN reingefallen. Nur Yanniks Kommentar hat mich erleichtert aufatmen lassen...

  • #4

    Frederike (Dienstag, 02 April 2013 22:42)

    Liebe Veronika,

    deine Rettung naht. Halte noch bis Samstag durch, dann erlösen wir dich. Schokolade für die Seele haben wir reichlich im Auto und auch der Wein fehlt nicht.
    Mit Carsten hast du auch einen Mann im Auto, der sehr viel Einfühlungsvermögen hat, womit ich selbst ja leider auch nicht dienen kann. Moritz wird dich auch verstehen. Ich lege jetzt wieder meine Füße hoch und genieße das NICHTSTUN ;)
    Frederike