Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Das Bonbon macht's!

Jacques empfängt uns heute Morgen zum Frühstück, bringt Baguettes und Kaffee. Selbstgemachte Marmelade und ein voller Obstkorb stehen bereits auf dem Tisch. Christine macht sich gerade parat für ihren schweren Weg zum Zahnarzt und verabschiedet sich von uns herzlich, aber auch mit einem leicht ängstlichen Flattern in den Augen. Jacques schaut wie ein französischer Oberkellner immer wieder nach, ob es uns auch an nichts fehlt, und versäumt dabei auch nicht, Sira immer wieder zu streicheln und zu kraulen.

 

Nur wenige Schritte entfernt von Jacques und Christines Gite steht eine winzige Kapelle mit einer großen Jakobsmuschel im Giebel, genau der richtige Platz für ein Abschiedsfoto. Wir fotografieren uns gegenseitig, dann reicht uns Jacques die Hand und nimmt uns das Versprechen ab, ihm von Santiago eine Karte zu schreiben. Ehrensache!

 

Dicke Schauerwolken haben gerade der Sonne Platz gemacht, als wir Tarsul verlassen. In einigen Kehren geht es die kleine Straße hinauf bis auf eine Anhöhe und die Ausblicke sind herrlich. Von einem etwas entfernten Bauernhof bellt uns ein Schäferhund entgegen. Sein Herrchen tritt vor das Haus, pfeift ihn zurück und ruft uns ein fröhliches "Salut!!!" zu. Zehn Minuten später hält neben uns ein altes, klappriges Auto. Die Fensterscheiben gehen runter und es zeigt sich ein kauziges Gesicht, das uns mit strahlenden Augen und wenigen Zähnen im Mund anlacht. Ein Redeschwall ergießt sich über uns, wir verstehen erst mal nur Bahnhof. Nur "... de Compostelle" hören wir heraus, nicken freundlich und versuchen ihm deutlich zu machen, dass wir ihn ansonsten nicht verstehen. Auf seine Frage hin, ob wir Deutsche seien, nicken wir erneut und er teilt uns radebrechend mit, dass er nach dem Krieg in Tübingen beim Militär stationiert war. Wieder mal stelle ich fest, wie schön es wäre, wenn wir etwas mehr Französisch sprechen könnten. Eine freundlich gemeinte Kontaktaufnahme ist so leider immer wieder schnell beendet. Er ruft uns ein gutgelauntes "Au revoir!" nach und gibt Gas.

 

Zügig erreichen wir Vernot. Hier finden wir erneut den uns inzwischen bekannten Dorf-Vierklang vor: Kirche, Mairie (kleines Bürgermeisteramt), altes Waschhaus, Kriegerdenkmal. Es ist frappierend, wie sich das immer wiederholt. Und es wiederholt sich ebenfalls, dass kein Mensch auf der Straße ist. Jacques erzählte mir gestern Abend, es sei einfach noch zu kalt. Sobald es wärmer würde, werde das anders.

 

Bald hinter Vernot schrauben wir uns einen Berg hoch. Es geht rauf nach Saussy. Die Steigung ist nicht sehr anstrengend und wir haben immer noch Luft für ein Quätschchen. Außerdem haben wir eine neue Marschtechnik entwickelt: Wir lutschen Bonbons. Zum einen ist es ganz nett, mal einen anderen Geschmack im Mund zu haben, zum anderen kann man sich damit auch Zwischenziele setzen. Zum Beispiel: Wenn das Bonbon weg ist, bin ich zwei Kilometer weiter oder habe ich das nächste Dorf erreicht oder bin ich oben auf dem Berg, dann ist also "der Drops gelutscht". Und tatsächlich: Das Bonbon ist noch nicht lange die Kehle runtergespült, da sind wir auch schon ganz oben in Saussy.

 

Auf der Bank neben der Kirche soll es eigentlich eine erholsame Rast geben, aber daraus wird nichts. Die Sonne ist hinter Wolken verschwunden und es weht ein heftiger kalter Wind. Noch keine zehn Minuten sind um, da gehen wir auch schon weiter. Etwa 300 Meter auf der Landstraße und ein gutes Stück über freiem Feld müssen wir uns richtig gegen den Wind stämmen, erst im nächsten Wald hört das auf. Jetzt geht der Weg genau so lange bergab wie vorher bergauf und fast schneller als wir denken ist heute die Etappe geschafft.

 

Als wir in Messigny-et-Vantoux einziehen, glaube ich, eine Fata Morgana zu sehen: Neben mir am Straßenrand blühen Forsythiensträucher. Im letzten Wald habe ich schon ganze Schneeglöckchenteppiche gesehen. Wird es jetzt doch endlich was mit dem Frühling?

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Kommentare: 2
  • #1

    Sebastian (Mittwoch, 20 März 2013)

    Hm, der alte Mann ohne Zähne in Helpenstell hat vielleicht auch nur französisch gesprochen und wir haben ihn deshalb nicht verstanden... Hey Anni, wo habt ihr denn diese Sulptur von dir gefunden?

  • #2

    Christof (Mittwoch, 20 März 2013 20:15)

    Hallo Ihr drei,

    ihr kommt ja gut voran. Nun haben wir Frühling und wird es auch bei Euch wärmer.

    Wünsche Euch noch einen schönen Weitermarsch und nette Begegnungen!

    Viele Grüße aus Franken,

    Christof