Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: How to shit in the woods

Ich habe das Buch nicht geschrieben. Ich habe das Buch nicht gelesen. Aber seit gestern weiß ich notgedrungen, wie es geht. Da ich mich euch gegenüber der Wahrheit verschrieben habe, erzähle ich sie euch auch in diesem Punkt wieder mal verhältnismäßig ungefragt verhältnismäßig ungeschminkt; Sagen wir mal, Magenprobleme auf Wanderungen sind nichts Schönes. Und sagen wir mal, Magenprobleme bei 20 km schnurstracks geradeaus über 85 % offene Felder sind alles andere als günstig. Und sagen wir mal, dass ich als alte Toilettengang-gestörte Person schon viel zu viel davon erzählt hab. Aber es gehört nunmal dazu und auch davon solltet ihr erfahren. Herzlichen Glückwunsch! Doch jetzt der gestrige Tag von Anfang an.

 

Nach meinem morgendlichen Gassigang mit Sira wuselt Gérard schon im Erdgeschoss unserer "Villa" herum. Er stocht den Kamin an, stellt uns einen Tisch und zwei Stühle davor, damit wir es warm haben und zieht sich dann diskret zurück, damit wir in Ruhe frühstücken können. Meine Herren, das hatte ich so auch noch nicht!

 

Nach einem herzlichen Abschied und mit der Unterkunftsadresse für die nächste Nacht in der Tasche ziehen wir los Richtung St. Elophe, immer geradeaus. Und das ist nicht so dahergesagt. Tatsächlich laufen wir 19 km immer schnurstracks voran, größtenteils der alten Römerstrasse nach. Boah, hatten die alten Römer dat langweilig!

 

Wir laufen die ersten beiden Kilometer über wenig befahrene Landstraßen, bevor es über feuchte und stellenweise matschige Schotterwege stetig weitergeht. Das Wetter sorgt auch nicht so richtig für ein Erhellen der Gemüter. Es ist diesig, neblig und zeitweise regnet es. Papa spannt sogar mal seinen Schirm auf. Sira läuft mal wieder, ähnlich wie wir, im Automatikmodus. Das aber auch nur, bis zwei Feldhasen unmittelbar neben uns aus dem Gestrüpp schießen und sich quer über das Feld davonmachen. Auweia, da ist das Gezeter gross! Und ich bin auch wieder wach...

 

Der Rucksack macht mir immer noch ordentlich zu schaffen. Wo ist der Ochsenkarren, wenn man ihn mal braucht?!? Durch Umschnallen und -schnüren kann ich das Ganze ohne zu murren eine Weile ertragen.

 

Auf unserer Panoramastrecke ergibt sich zu allem Übel nirgendwo eine Möglichkeit, eine Pause zu machen. Keine Bank, keine Schutzhütte, nicht mal ein Holzklotz am Wegesrand.

 

Nach gut zehn Kilometern unsere Chance: Ein alter Stall mitten im Feld. Ganz auf Robinson-Crusoe-Weise bauen wir uns aus Holzresten Sitzgelegenheiten zwischen vertrocknete Pferdeäpfel und genießen unsere Brote.

 

Ich weiß nicht, ob es an dem Dungdunst liegt, der uns umgibt oder an dem Essen, dass Mama Mouchette uns gestern gekocht hat, aber plötzlich habe ich ein dringendes Bedürfnis und husche hinter den Stall. Mit einem Weitblick über zwanzig Fussballfelder verrichte ich mein Geschäft. Ja, eindeutig, ist mal etwas anderes. Besser geht es mir danach aber nicht.

 

Ein Schauer nach dem anderen jagt mir über die Haut und wir beenden die Pause. Gut, dass wir danach durch den Wald laufen. Ich setze zur zweiten Runde an.

 

Wenig später erreichen wir St. Elophe. Ein freundlicher Bauer spricht uns an, wir antworten ihm in unserem sich rasant entwickelnden Superfranzösisch und er erklärt uns den Weg nach Brancourt, wo wir diese Nacht schlafen wollen.

 

Mr. Petit, unser "Gastvater" für diese Nacht, ist ein sehr gläubiger Mann. In seiner Küche steht eine riesige Jesusfigur, gleich neben einer Fotowand mit Bildern seiner zweimal jährlich stattfindenden Lourdes-Wallfahrt. Er berichtet, er lebe hier mit einer Freundin zusammen, Madame Madeleine, die gleich darauf hereinkommt und uns später bekocht. Wir verbringen einen sehr netten Abend mit diesen wirklich herzlichen und lustigen Leuten. Wir bekommen Fotoalben vorgelegt von all den Pilgern, die hier genächtigt haben und Briefe an berühmte Persönlichkeiten (Brigit Bardot, Bill Clinton, Nicholas Sarkozy), die André geschrieben hat, inklusive der Antworten. Und wir lernen eine Menge. Ist schon lustig, wenn man gezwungen ist, sich auf französisch zu verständigen, weil die Gegenseite es einfach so voraussetzt.

 

Heute morgen fällt der Abschied schwer. Weil uns die Zwei ans Herz gewachsen sind. Und weil das Wetter, höflich ausgedrückt, bescheiden ist. Es pladdert auf das Dach des Wintergartens. Und die Aussicht auf einen Tag immer an der Schnellstraß entlang macht das Feeling nicht besser. Aber es hilft ja nichts!

 

Wir schmeißen uns in unsere Regenponchos, schultern die Rucksäcke, machen noch ein paar letzte Fotos und ziehen von dannen, während Madeleine und André uns nachwinken.

 

Über den heutigen Wandertag gibt es nicht viel zu sagen. Größtenteils regnet es, der Wind ist unangenehm kalt und die Lastwagen auf der Landstraße hüllen uns immer wieder in fiese Nieselwolken. Sira kann sie kaum ertragen. Bei jedem LKW macht sie einen 180°-Satz und duckt sich, um dem Wind standzuhalten, bevor sie schließlich weiterläuft.

 

Ich würde ja glatt sagen, sie tut mir leid, aber wenn sie dann ein Stöckchen findet, oder einen alten Handfeger, oder einen überfahrenen Dachs am Straßenrand, dann wirkt sie doch wieder zufrieden. Und dann bin ich es auch.

 

Auf den letzten Kilometern der heutigen Etappe trottet sie so neben mir her. Ich träume vor mich hin und da macht sie einen Satz, als wäre ein Reh aus dem Gebüsch gehüpft. Der Grund findet sich schnell; Ein Trecker mit Blinklicht fährt hinter der Kuppe entlang, wir sehen nur schemenhaft den oberen Teil und sie hält das für Wild. Die Ähnlichkeit ist unverkennbar.

 

In Pompierre, unserem Etappenziel, kommen wir unter bei Madame Bic, einer alten Dame mit einem äusserst emotionslosen kleinen Knäuel von Queen Mum-Hund. André hat gestern hier angerufen und uns diese Unterkunft besorgt, auch wieder für lau. Auch hier kriegen wir wieder zwei gemütliche Zimmer, mehrere Mehrgängemenüs und sogar eine Waschmaschine und Internet am Großbildschirm geboten. Sira versucht den Rest des Abends einen Funken Emotion aus dem schnarchenden und grunzenden Lockenfiffi herauszuholen. Vergebens.

 

Am Liebsten könnte diese Serie der guten Menschen ewig so weitergehen. Wir lernen so viel, Sira fùhlt sich so wohl und von den Annehmlichkeiten brauchen wir gar nicht zu reden. Da kann das Wetter oder der Routenverlauf noch so blöd werden, man geht doch jeden Tag gerne, wenn man am Ende bei netten Leuten mit hausgemachtem Mirabellenschnaps sitzt und auf die gelaufenen Kilometer zurückschaut.

 

Mal sehen, ob unsere gute Strähne so weiter geht. Unsere nächsten Unterkünfte sind noch ungewiss.

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Kommentare: 3
  • #1

    Sebastian (Donnerstag, 14 März 2013 00:11)

    Freundliche Franzosen? ... :-)
    Wenn der Rucksack zu schwer wird, dann tausch doch mal mit Sira. Dafür hast du sie ja schließlich mitgenommen...

  • #2

    Dani (Samstag, 30 März 2013 19:33)

    Lecker Popo-Geschichten vonner Schwester. Was will man mehr?

  • #3

    u=41991 (Samstag, 04 Mai 2013 06:53)

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