Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Reinhard: Mal kurz im Paradies

  Sonntägliche Stille liegt über Toul, als wir die historische Altstadt durch die Port Jeanne d’Arc verlassen. Autos fahren kaum, Fußgänger sind nur sehr wenige auf den Straßen. Wir biegen in die Avenue Maréchal Foch ein und befinden uns damit auf der ersten Landstraße fur heute. Sie wird nicht die letzte sein, den ganzen Tag über werden wir wieder (asphalt)festen Grund unter den Füßen haben, aber das kennen wir ja schon. Der Jakobsweg ist eben kein Wellness-Parcour auf dickem Fichtennadelgrund, kein deutscher Premiumwanderweg. Sowohl in Deutschland als auch bisher in Frankreich heißt es Asphalt treten bis die Fußsohlen Feuer fangen und die Oberschenkelmuskeln hart werden. Wir nehmen es so wie es ist, meckern hilft nicht.

 

Am Stadtrand von Toul kommen wir an einer riesigen Militärkaserne vorbei, Fotografieren streng verboten! Was soll ich da auch schon fotografieren wollen? Nach der Kaserne schließt sich ein großer Soldatenfriedhof an, Zeugnis eines früheren menschenverachtenden Denkens. Die Überreste französischer und kanadischer Soldaten liegen hier unter militärisch exakt gestellten Kreuzen, zu Tausenden. Die Gräber muslimischer Soldaten sind sogar gen Mekka ausgerichtet. Heute können wir nicht mehr nachvollziehen, was vor etwa 40 Jahren in dieser Gegend passierte und wieviele Menschen hier wegen eines Wahnsinnigen ihr Leben lassen mussten. Sehr nachdenklich gehen wir weiter.

 

Der Himmel ist zunächst bedeckt, nach Regen sieht es aber nicht aus. Ganz im Gegenteil, je länger wir unterwegs sind, umso dünner wird an einigen Stellen die Wolkendecke und die Sonne erscheint immer wieder mal kurzfristig als milchigweiße Scheibe. Und genau das fürchtet Sira wie der Teufel das Weihwasser! Sie schaut ängstlich zu diesem angsteinflößenden Etwas am Himmel und tänzelt aufgeregt an der Leine hin und her. Anni hat ihre liebe Not mit ihr, denn einen verschreckten Hund an der Leine eine Landstraße entlangzuführen ist kein Zuckerschlecken. Hinzukommt, dass Anni gegenwärtig sowieso ein kleines Tief zu verarbeiten hat. So ein Motivationsloch kann immer mal auftreten. Jetzt ist Anni damit dran, irgendwann werde ich es sein. Vielleicht würde ihr jetzt ein Gepäcktransport helfen, aber erstens gibt es den hier nicht und zweitens wird sich Töchterchen auch so wieder einkriegen.

 

Die Voraussetzungen dazu werden auch immer besser: Die Sonne setzt sich zunehmend mehr durch und die morgens noch recht frischen Temperaturen verbessern sich auf Frühlingswerte. Die Landstraßen wechseln zwar mal ihre Bezeichnungen, bleiben immer noch fußunfreundlich, nehmen aber über die Dörfer Charmes-la-Cote, Mont-le-Vignoble und Bulligny  einen abwechslungsreicheren Verlauf. Wellenförmig geht es rauf und runter, ohne als große An- und Abstiege von uns wahrgenommen zu werden. Der Blick nach rechts geht auf bewaldete Höhen, Weinhänge und Streuobstwiesen, nach links weit, weit ins Land und der Autoverkehr hält sich sehr in Grenzen.

 

Das Beste hält der Tag aber noch für uns bereit: Bereits gestern hat uns ja die freundliche Dame in der Touristeninformation in Toul für heute eine Unterkunft in dem kleinen Ort Bagneux vermittelt. Einfach so wollte man uns aufnehmen, ohne Geld dafür zu verlangen, weil wir Pilger sind. Das alleine reicht schon, um uns in Begeisterung zu versetzen. Als wir dann aber in Bagneux ankommen, wird alles getoppt. Eine sehr alte Madame empfängt uns unter der angegebenen Adresse und ruft direkt einmal quer über die Straße nach ihrem Sohn Germaine, der anscheinend im gegenüberliegenden Haus wohnt. Der erscheint zunächst mal nicht und sie bittet uns daraufhin zu sich in die Küche. Wir bekommen Kaffee und Kekse kredenzt und während wir uns daran laben, versucht sie Germaine mit dem Telefon zu erreichen. Der kommt nach einer kleinen Weile, hält ein kurzes Quätschchen mit uns. Die Sätze bestehen aus einer Mischung von Französisch, Englisch und Deutsch, aber irgendwie versteht man sich. Dann bittet er uns ins Nachbarhaus, was auch ihm gehört, und stellt uns dort seine Frau Silvie und seinen Schwager Gérard vor. Das Hausinnere, gerade frisch renoviert, erschlägt uns: Was von außen (noch) wie ein alter Schuppen aussieht, erweist sich von innen fast wie ein kleiner Palast. Und hier können wir uns ausbreiten. Unsere Gastgeber selbst wohnen nämlich noch in einem dritten Haus, gegenüber der Straße. Wir erhalten kostenlose Halbpension: Die alte Dame lädt uns für 19 Uhr zum Abendessen, Frühstück  serviert Silvie morgen früh um 8 Uhr hier in der großzügigen Küche. Wir fühlen uns wie im Paradies und genehmigen uns zwei Flaschen Bier und Sira freien Auslauf an der langen Schleppleine im Garten.

 

Das Abendessen mit vier Gängen und einer Flasche Beaujolais ist fast eine Offenbarung und während Anni und ich schlemmen, besorgt Gérard uns telefonisch die nächste Unterkunft für morgen in St. Elophe - wieder kostenlos bei Privat.

 

 

 

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Georg (Donnerstag, 14 März 2013 12:27)

    Ihr seid ja schon sehr weit und das bei diesem Sauwetter. Meldet Euch mal unmittelbar bei mir, wenn Ihr die spanische Grenze überschritten habt.

    Weiterhin : Gut Schluff Eva und Georg

  • #2

    Dani (Samstag, 30 März 2013 19:32)

    Na, so lässt es sich doch leben...

  • #3

    u=173465 (Montag, 22 April 2013 03:47)

    This is a great post! Thanks for sharing with us!