Pilgern mit Hund nach Santiago de Compostela

Translation:

Annika: Je ne comprend pas!

Da sind wir endlich mal wieder mit einem Lebenszeichen aus Frankreich. Jawohl, richtig gehört! Vorgestern Mittag die Grenze überquert, und wir sind noch nicht verhungert oder verdurstet und hatten immer ein gutes Bett zum Schlafen. Aber von Anfang an...

 

  Bei Frau Koch soll das Prozedere beim Frühstück am Sonntag, also vorgestern, das Gleiche sein wie die letzten Tage: Hund bleibt solange im Zimmer. Als wir dann am Tisch sitzen, soll ich Sira doch dazuholen, denn sie muss schließlich ein Stück Wurst bekommen. Frau Koch lobt den Hund und mich für ihr vorbildliches Verhalten bei Tisch. Höhö. Ich halte den Mund. Muss ja nicht jeder wissen, dass der Hund von Natur aus toll ist.

 

Gestärkt machen wir uns auf den Weg durch die Weinberge, in denen, kurz vor Apach, unscheinbar die Grenzsteine Deutschland-Frankreich stehen. Im Ort tun sich schon an der ersten Straße Probleme auf: Kein Straßenschild, irgendwie kommen wir an der falschen Ecke in den Ort und von Bürgersteig freihalten sind die Autoparker auch nicht begeistert. Bald finden wir den richtigen Weg zur Mosel und an ihr entlang in die alte Stadt Sierck-les-Bains, auf deren Höhe eine Burg thront, die wir erst erklimmen, bevor es weiter hinauf geht aufs Feld und durch lichte Laubwälder.

 

Die Sonne gibt sich alle Mühe, uns den Frühling zu präsentieren. Mit Teilerfolg... Sie sorgt dafür, dass der Schnee schmilzt und das Eis taut. Dadurch liegt auf den Wegen jetzt eine 5cm hohe Schlammschicht, durch die wir waten müssen. Wenn wir ausweichen wollen, laufen wir über das angrenzende Feld, wodurch unsere Schuhe sich rundherum gleichmäßig mit frischer feinster Blumenerde panieren. Die Schuhe werden zu einzigen, zehn Kilo schweren Schlammbrocken. Aber auch (im wahrsten Sinne des Wortes) schwere Zeiten gehen irgendwann zu Ende, in diesem Fall in Monneren, Sainte Marguerite, bei der deutschsprachigen Madame Keller.

 

  Als sie uns das Zimmer über der alten Scheune zeigen will, stehen wir das erste Mal vor einem Problem, dass uns von jetzt an stets begleiten wird, fürchte ich: Sira soll unten am Treppenabsatz in der kalten Scheune festgebunden werden und darf nicht mit ins Zimmer. Wir wussten ja, dass der Moment kommen würde. Aber ehrlich gesagt hatte ich gehofft, dass dieser Zeitpunkt sich in irgendeiner Weise mit dem Wetter absprechen würde. Wenn es noch so kalt ist, kann ich mich nicht, in Solidarität zerfließend, zu meinem ausgestoßenen Hund legen. Aber meine Süße alleine und frierend, das kann ich auch nicht! Also geduscht, dann dick eingepackt und mich mit dem Hund noch schnell rausgesetzt, um gemeinsam die letzten Sonnenstrahlen zu ergattern. Als es endgültig dunkel ist und wir zu zittern anfangen, appellieren wir erfolgreich an Frau Kellers Mitgefühl für den zitternden Hund und dürfen endlich ZUSAMMEN unser warmes Zimmerchen beziehen. Geschafft und gemütlich  schlafen wir ein.

 

  Der gestrige Tag, also Montag, war genau wie heute, geprägt von mäßig befahrenen Landstraßen, der Mosel und Sonne, Sonne, Sonne. Papa hat sich glatt ein bisschen seine Denkerstirn verbrannt. Minimal, aber immerhin. Gestern Mittag war es dann so weit: Papa hat sein Fleece abgeworfen und ich meine Oberjacke. Frühling, endlich!

 

Weiter geht's, immer der Landstraße folgend, durch kleine und weniger kleine Orte mit vielen ehemaligen oder immer noch bewirtschafteten Bauernhöfen.

 

Sira ist heute eher auf Automatik geschaltet. Sie trottet ohne jede große Gefühlsregung neben uns her. Kein Wunder. Sie kann der Teerstraße nichts abgewinnen. Ihr einziger Lichtblick sind Fahrzeuge am Horizont, die sie vermutlich für Wild hält, denn sie tänzelt dann immer so komisch.

 

  In Méchy, unserem Etappenziel, stehen wir dann, völlig geschafft von einem wirklich langen Wandertag in der Sonne, vor zwei Problemen.

 

Zunächst einmal hatten wir fest damit gerechnet, in Vigy, dem letzten größeren Ort, Futter für den Hund zu kriegen. Da Vigy aber äußerst ausgestorben wirkte, wird Sira heute, außer einem solidarisch geteilten Wurstbrot, fasten müssen.

 

  Das andere Problem nervt deutlich mehr: Die Hausherrin ist noch nicht da, ihre Gehilfin lässt uns herein, dann soll der Hund auf einmal doch wieder in den Vorraum des Pferdeguts (kalt, tausend Leute gehen ein und aus, noch nicht mal eine Möglichkeit zum Anbinden...). Also wieder das gleiche Spiel wie am Vortag: Papa sittet, bis ich geduscht hab, dann halten wir Sira draußen solange die Stange, bis Papa zu kalt wird. Er geht rein und ich latsche mit Sira im Dorf auf und ab, bis die Hausherrin kommt und wir sie doch wieder überredet kriegen und Sira von ihr heute morgen sogar noch eine Dose Thunfisch zum Frühstück bekommt. Tja, dieser Augenaufschlag kriegt sie eben doch alle rum...

 

Heute ist uns schon morgens bald zu warm für beide Jacken. Die Sonne strahlt und wir ziehen los gen Metz, immer der Landstraße nach. Von Kälte ist hier nichts zu spüren und wir können kaum glauben, vor zehn Tagen noch durch zehn Zentimeter Neuschnee gestapft zu sein.

 

Nach einem kurzen Besuch in der Touri-Information in Metz, um unsere Unterkunft für heute Nacht zu sichern, werfe ich einen kurzen Blick in die Kathedrale, während Papa ganz reingeht. Ein Mann kommt auf mich zu, fragt etwas mit "peregrine" und "compostelle", ich antworte "uäh!", weil Ingo mir das zu Hause so schön beigebracht hat und der Mann gibt mir zu verstehen, er war selbst mal Pilger und wünscht mir "buen camino!" und "ultreia!". Cool. Boah, voll jakobuswegisch. Höhö! Das erste Mal, dass man mir das sagt. Höhö!

 

Bis zu unserer Herberge, angeblich in Jouy-aux-Arches, laufen wir immer am Moselkanal entlang. Dort angekommen irren wir planlos durch den Ort und suchen nach der richtigen Straße. Als wir mit unserem nicht vorhandenen Französischkenntnissen und mit Händen und Füßen eine ältere Dame um Hilfe bitten und die uns nicht mit einem Fingerzeig in eine Richtung, sondern mit einem kurzen Satz und fassungslosem Gesichtsausdruck antwortet, sind wir genauso schlau wie vorher. Wir bedanken uns und irren weiter.

 

Wieder mal hilft uns Jakobus, diesmal in Form einer niedlichen Teenagerin, die uns mithilfe ihrer mittelmäßigen Englischkenntnisse, ihres Smartphones und anderer Passanten den Weg erklärt. Sie und ihre Freundin sind der Meinung, das sei gaaanz weit außerhalb in der Richtung, aus der wir gerade kommen. Wir bedanken uns und machen uns seufzend auf den von ihr beschriebenen Weg. Nach 200 m ruft und rennt sie uns hinterher, um ihre Beschreibung geringfügig zu korrigieren. Wir bedanken uns wieder und gehen weiter, als Papa eine zündende Idee hat: Wir könnten das B&B ja auch über unsere Smartphone-Maps suchen, um sicher zu gehen, dass das Mädel recht hatte. Ich beglückwünsche ihn und bin beeindruckt. Gleichzeitig schäme ich mich. Auf die Idee hätten wir eher kommen und uns 5km Fußmarsch sparen können. Naja, so lernt man für's nächste Mal.

 

 Am Ende, also nach einer halben Stunde etwa,  stimmte die Wegbeschreibung des Mädchens ziemlich genau. Mit Blick auf unsere Unterkunft führt unser letzter Gang zum Aldi zwecks Hundeversorgung. Toll! Trockenfutter im wandererfreundlichen 4kg-Sack! Schön wat zu Schleppen!

 

In unserem Zimmer, schön warm und mit einem gemütlichen Teppich-Plätzchen für den Hund begehen wir unser Ankunftsprozedere: Papa richtet sich häuslich ein, während ich mein Kälbchen versorge. Leine ab, Rucksack und Halsband aus, Fütterung, Wasser geben, Platz für ihr Deckchen machen, Decke ausbreiten, Wundversorgung (ein Katscher im Ohr, vermutlich von Stacheldraht, ein Katscher am Vorderlauf aus dem Wald, ein fast verheiltes Leckekzem am Hinterlauf) und eine ausgiebige Massage für die strapazierten Hundemuskeln.

 

Und dann erst komm ich. Wie Mama immer so schön gesagt hat: "Ein guter Cowboy füttert zuerst sein Pferd!"

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Kommentare: 3
  • #1

    Sebastian (Dienstag, 05 März 2013 23:47)

    Oha, ihr habt Google Maps entdeckt :-) Ihr Tröten. Nächtigt erholsam ihr drei!

  • #2

    Dani (Sonntag, 10 März 2013 19:08)

    Es gibt übrigens auch ein kostenloses B&B Hotel app zum download für´s smartphone ;o) mit Adresse, wegbeschreibung per navi etc. ..

  • #3

    u=125097 (Sonntag, 05 Mai 2013 22:55)

    This is a great post! Thanks for sharing!